Eine Art Vermächtnis

pl_0001Es soll hier von einem Soldaten erzählt werden, der seine Pflicht für das Vaterland tat. Ein ganz normaler Soldat, der 1914 in den Krieg ziehen musste und wie die meisten sein Leben verlor. Aber etwas Besonderes hebt ihn aus der Masse heraus.


Paul Lotz, so heißt dieser Soldat, wird im September 1914 an die Front geschickt und kämpft in Belgien für das Vaterland. Nach wenigen Wochen ist der Krieg für ihn schon zu Ende. Er wird an der Hand verwundet und kehrt in die Heimat zurück. Im Gepäck Notizen über seine Kriegserlebnisse. Im Lazarett schreibt er ein ausführliches Tagebuch.
Er hat innerhalb weniger Wochen die Sinnlosigkeit, das Grauen und die Lügen dieses Krieges durchschaut und gleichzeitig sein eigenes Handeln hinterfragt. In seinem Notizheft schreibt er am Schluss:

Ist es statthaft als Staatsbeamter von diesem Krieg eine andere Meinung zu haben als die Allgemeinheit in Deutschland? Besonders sei bemerkt, daß ich meine Pflicht im vollsten Maße gethan habe und noch thue!

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Paul Lotz ist sicher nicht der einzige, dem solche Gedanken durch den Kopf gingen. Aber sein Tagebuch zeigt beispielhaft das Leiden einer ganzen Generation.

PLO_0007aWer war eigentlich Paul Lotz? Er wird am 29. Oktober 1885 in Wertheim geboren. Über seine Familien- und Wohnverhältnisse wissen wir nichts. Nach der Schule wird er zunächst Klempner. Mit 22 Jahren geht er als Seewehrmann für ein Jahr nach China in die deutsche Kolonie Tsingtau. Nach seiner Rückkehr wird er Krankenwärter und arbeitet in Mannheim in einer Heil- und Pflegeanstalt.
Am 14. März 1913 heiratet er Babette Karoline Bodenschatz. In der Heiratsurkunde wird Paul Lotz als Gefängnisaufseher ausgewiesen. Am 22. März 1914 wird ihr Sohn Robert geboren.
Als der Krieg ausbricht, ist der kleine Robert kaum ein halbes Jahr alt. Der Vater wird schon am dritten Tag einberufen. Oder hat er sich freiwillig gemeldet? Die ersten Sätze in seinem Tagebuch geben darüber keine Auskunft.
Es war am 3. August 1914, als mich das Vaterland zur Fahne rief. Nach herzlichem Abschied von Weib und Kind, fuhr ich morgens 9 Uhr vom Hauptbahnhof in Karlsruhe ab, wo mir aus dem schon bereit stehenden Zug ehemalige Kameraden, mit denen ich schon in (der jetzt leider verlorengegangenen Kolonie) Kiautschou zusammen war, entgegen winkten. Unter gegenseitigem Ausfragen über unsere Zivilzeit und Familienverhältnisse, fuhr der Zug ab.
Am 1. September – kurz bevor es an die Front geht – schreibt er eine Postkarte an seine Frau und an den Bub Robert.
Holtenau, den 1. September
Liebe Frau u. Bub!
Soeben habe ich die Karten erhalten mit unserer Photogruppe. Am Sonntag erhielt so ein Kerl Erlaubnis hierzu! Es freut mich sehr Dir damit einen ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen! Die mit x gezeichneten sind meine beiden Landsleute. Bin gespannt ob ich die Hamburger treffe. Bis auf weiteres recht herzl. Grüße u. Küsse Dein Mann u. Vater Paul
Viele Grüße an die gute Mutter!
Absender Seewehrmann Lotz
Der Rest ist schnell erzählt. Paul Lotz kommt im September 1914 an die Front nach Belgien. Er macht sich dort Notizen über die verschiedenen „Schlachten und Gefechte“. Im November wird er schwer an der Hand verletzt und wird innerhalb von drei Tagen in seine Heimat nach Wertheim gebracht.
In Mittelkerke wurde noch mehr Watte untergebunden, da der Verband stark durchblutete und von da nahm mich ein Marinearzt mit seinem Auto nach Ostende, wo ich in einem Hotel schlafen sollte, aber vor Schmerzen die ganze Nacht herumlief, wobei ich noch viele meiner Kameraden traf, die nicht so gut weggekommen waren wie ich. Anderntags ging’s in die Heimat, die ich nach drei Tagen und Nächten erreichte.

In Wertheim kommt Paul Lotz in ein Vereinslazarett. Dort schreibt er anhand seiner kurzen Notizen sein ausführliches Tagebuch und nennt es „Erlebnisse eines Seewehrmannes beim 8. Seebataillon, 1 9 1 4“ (vollständiger Text unter http://win2014.de/?page_id=60)

Er kehrt nicht wieder an die Front zurück. Seine Verwundung will und will nicht heilen. Einen Tag vor seinem 30. Geburtstag stirbt er am 28. Oktober 1915. In seinem kleinen Notizheft hat er seine bewegendsten Gedanken formuliert.

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Foto: links Paul Lotz

Ist es statthaft als Staatsbeamter von diesem Krieg eine andere Meinung zu haben, als die Allgemeinheit in Deutschland? Besonders sei bemerkt, daß ich meine Pflicht im vollsten Maße gethan habe und noch thue!

1. Heldentod!
Ein Schützengraben vor Antwerpen. Furchtbares Granatfeuer! Im Graben lauter bleiche, verstörte Gesichter! Stiere, angstvolle Augen, kein Kopf wagt sich, der Granatsplitter wegen über den Rand des Grabens. Alles an die Wand geschmiegt, als wollten sie in den Erdboden kriechen. Ein Volltreffer. Heftiger Schlag! Markdurchdringende Aufschreie! 2 bis 3 tot, ebenso viele verwundet!
Wo bleibt da die Poesie vom Heldentod?

2. Habe ich belgische und französische Zivilisten und Soldaten gefragt! Nicht ein einziger wünschte den Krieg, oder hätte Interesse an dem Krieg! Im Gegenteil, allen war es von der ersten Minute an ein unbequemes MUSS!

3. Man betrachte die Gesichter meiner (leider sehr zusammen-geschmolzenen) Kameraden, wenn Befehl kommt: zurück in Reserve! Man betrachte die Minen wieder, wenn es heißt an die Front. Schon aus den Bemerkungen, die auch von Offizieren fallen, hört man daß alles nur dem MUSS gehorcht!
Wo bleibt da die Heldenpoesie?

4. Wie stelle ich mich zum Gebot: Du sollst nicht töten?

5. Wenn ich im sonstigen Leben einen Menschen töte und damit z.B. Kindern den Vater, der Frau den Mann, den Eltern den Sohn raube, werde ich als der größte Schandfleck am sozialen Körper der Menschheit in allen illustrierten Blättern abgebildet und alles sieht mich mit Grauen an.
Jetzt wird dieser wilde – sozusagen heidnische, tierische Trieb im Menschen geweckt, während sonst gerade diese Triebe von den Erziehern der Menschheit – am gründlichsten ausgemerzt werden.
Wird doch zum Beispiel schon dem Kind auch die Verstümmelung des kleinsten und unscheinbarsten Tieres als eine Rohheit hingestellt.

Nachtrag:
Mehr als 650 000 Menschen werden zwischen August 1914 und November 1918 auf belgischem Boden ihr Leben lassen, Zivilisten und Soldaten, Belgier und Ausländer. Im November 1918 hinterlässt der Besatzer ein Land, das ausgeplündert und schwer verwüstet ist, der Lebensstandard in Belgien ist auf das Niveau von 1750 reduziert.

Zitat aus: Erwin Mortier, Zöger-Walzer, Tanz und Verhängnis in Belgiens letztem Sommer; die horen, Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik, Ausgabe 254, 2014, S. 146

 

 

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