Silvester 1914 an der Front

aus: Kriegsbriefe gefallener Studenten, Hrsg. Philipp Witkop, München,1928

stud - Kopie

Der Student Karl Aldag (geb. 1889, gefallen am 15. Januar 1915) schreibt nach Hause:
3. Januar 1915

Ganz eigenartig war Silvester hier. Es kam ein englischer Offizier mit weißer Fahne herüber und bat um Waffenruhe von 11 bis 3 Uhr zur Beerdigung der Toten (kurz vor Weihnachten waren hier heftige feindliche Angriffe gewesen, wobei die Engländer viele Tote und Gefangene verloren). Sie wurde gewährt. Es ist schön, daß man nicht mehr die Leichen liegen sieht. Die Waffenruhe aber wurde ausgedehnt. Die Engländer kamen aus ihrem Graben heraus in die Mitte, tauschten Zigaretten, Fleischkonserven, auch Photographien aus mit den Unsern, sagten, wollten nicht mehr schießen. So herrscht vollständige Ruhe, die einem seltsam vorkommt. Wir und sie gehen und stehen auf der Deckung.

Es konnte nicht so weitergehen, und so schickten wir hinüber, sie möchten in den Graben gehen, wir würden schießen. Da antwortete der Offizier, es täte ihnen leid, ihre Leute gehorchten nicht. Sie hatten keine Lust mehr. Die Soldaten sagen, sie könnten nicht mehr im nassen Graben liegen, Frankreich wäre kaputt. Sie sind auch wirklich viel schmutziger als wir, haben mehr Wasser im Graben als wir und viele Kranke. Es sind ja Söldner, sie streiken einfach. Wir schossen natürlich nicht, denn auch unser Laufgraben (der vom Dorf in die Feuerlinie führt) ist stets voll Wasser, und es ist gut, daß wir über die Deckung gehen konnten ohne Lebensgefahr.

Ob das ganze englische Heer streikt und den Herren in London einen Strich durch die Rechnung macht? Unsere Leutnants gingen hinüber und schrieben sich in ein Album der englischen Offiziere ein. Eines Tages kam ein englischer Offizier und bestellte, ihre Oberleitung hätte die Beschießung unserer Gräben befohlen, wir möchten Deckung nehmen, und dann schoß die (französische!) Artillerie, allerdings sehr heftig, aber ohne uns Verluste beizubringen.

Silvester riefen wir uns die Zeit zu und verabredeten, um 12 Uhr Salven zu schießen. Der Abend war kalt. Wir sangen Lieder, sie klatschten Beifall (wir liegen 60-70 Meter gegenüber), wir spielten Mundharmonika, dazu sangen sie, und wir klatschten. Dann fragte ich, ob sie nicht auch Musikinstrumente dahätten, und dann kriegten sie einen Dudelsack vor (es ist die schottische Garde mit den kurzen Röcken und nackten Beinen), sie spielten ihre schönen elegischen schottischen Lieder darauf, sangen auch. Um 12 Uhr dann knatterten Salven von beiden Seiten in die Luft. Dazu ein paar Schüsse unserer Artillerie, ich weiß nicht, wohin die schossen, die sonst so gefährlichen Leuchtkugeln prasselten auf wie ein Feuerwerk, mit Fackeln wurde geschwenkt und Hurra geschrien. Wir hatten uns einen Grog gebraut und tranken den mit einem Hoch auf Kaiser Wilhelm und auf das neue Jahr. Es war rechtes Silvester, wie im Frieden.

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Die-WocheVor Weihnachten 1914 gab es übrigens eine Werbung für Asbach-Uralt in der Zeitschrift DIE WOCHE (5. Dezember 1914). Weihnachten und Silvester waren für jeden Soldaten durch Asbach gerettet – so suggeriert es jedenfalls das kleine Gedicht Weihnachten im Felde!

Asbach 2