Das Menschenschlachthaus

Es sind nach 1918 zahlreiche Romane geschrieben worden, die versuchten, das Grauen des Krieges darzustellen und anzuprangern. Ob Remarque, Arnold Zweig oder Henri Barbusse – sie alle schrieben gegen den Krieg und wurden dementsprechend kritisch beäugt und später unter den Nazis verboten. Antikriegsromane eben.
Wie sehr erstaunt es uns aber, dass es bereits vor 1914 jemanden gab, der die Schrecken des Krieges und das maschinengesteuerte Töten vorhergesehen und in seinem Roman so dargestellt hat, wie die Welt vier Jahre lang mit Tod und Blut bedeckt wurde. 1912 erschien das Buch des Hamburger Lehrers Wilhelm Lamszus mit dem Titel „Das Menschenschlachthaus“.


„Die Erde hat sich aufgetan… es blitzt und knallt, es donnert, und der Himmel reißt entzwei und fällt entflammt herab – die Erde fliegt in Stücken auf. Die Menschen und die Erde explodieren und fahren rund wie Feuerräder durch die Luft. Und dann… ein Krach, ein wütendes Getöse schlägt uns an die Brust.“

Wilhelm Lamszus wurde 1881 in Altona geboren. Sein Vater war ein Schuster und Sozialdemokrat. Der junge Wilhelm wurde schon früh in seinem Elternhaus mit dem Krieg konfrontiert. Sein Vater hatte 1870/71 am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen und war mit einer Kriegsneurose zurückgekehrt.
Altona war damals neben Leipzig, Stettin und Berlin eine der Hochburgen der Sozialdemokratie. 1890 errang die SPD erstmals die meisten Wählerstimmen bei einer Reichstagswahl. Da ist Wilhelm Lamszus gerade 9 Jahre alt. Er weiß schon sehr früh, dass er Lehrer werden will. Aber kein Lehrer am Gymnasium, kein Lehrer nur für die höheren Bildungsschichten. Er möchte, dass alle Kinder eine zeitgemäße und praxisorientierte Schulbildung erhalten.

„Gibt es denn keinen Weg, nicht länger Latein und Griechisch, Mathematik und Ästhetik zum Inbegriff der Schule zu machen, sondern den jungen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen?“

Lamszus macht kein Abitur. Das braucht er auch nicht, um Lehrer an einer Volksschule zu werden. Seine Eltern raten ihm dazu. Er tritt 1896 im Alter von vierzehn Jahren in das Hamburger Lehrerseminar ein. Sechs Jahre wird die Ausbildung zum Lehrer dauern. Hier trifft er junge Menschen, die ähnlich denken wie er. Lamszus schließt sich leidenschaftlich den reformpädagogischen Strömungen an. Man trifft und engagiert sich in Lesevereinen für Arbeiter. Die Nähe zur Sozialdemokratie oder zu den Kommunisten ist garantiert.

Der Protest gegen den veralteten Schulbetrieb mit seinen schematischen Lehrmethoden wird in Deutschland immer größer. Aber Lamszus und den Reformpädagogen geht es nicht nur um eine verbesserte Schule. Er will als Pädagoge auch die Gesellschaft und die Welt verändern. In einer Welt, in der das Militär den Menschen sagt, wo es langgeht, kann die Jugend sich nicht frei entfalten, die Jugend, die von Soldatenbildern indoktriniert wird.

„Wenn man den nächsten kleinen Jungen fragte, was er später werden wolle, so warf er sich stolz in die Brust und stellte sich uns als ein zukünftiger General vor.“

Wie soll eigentlich Schule gestaltet werden, damit Erfahrungen und Interessen der Kindern zur Geltung kommen können? 1902 tritt Lamszus in den Hamburger Schuldienst ein. Da ist er 20 Jahre alt.

Man sagt oft, Schule ist der Ort, wo die Schüler Antworten auf Fragen kriegen, die sie nie gestellt haben. Lamszus kämpft dagegen an. Er will seine Schüler zu kritischen Bürgern erziehen. Er verfasst erste pädagogische Streitschriften, die in ihrer Radikalität Aufsehen erregen. Ein Titel: „Unser Schulaufsatz, ein verkappter Schundliterat“.

Lamszus muss wie alle jungen Männer eine Reserveübung absolvieren. Dabei erlebt er hautnah, wie die modernste Kriegstechnik erprobt wird. Es gibt jetzt nicht nur das Gewehr mit einem Bajonett. Auch Trommelwirbel und Fahne, wie es sein Vater 1870/71 noch erlebt hat, sind längst entsorgt. Stattdessen muss er lernen mit einem Repetiergewehr umzugehen, mit einem Schnellfeuergeschütz und mit dem Maschinengewehr. Eine Luftwaffe gibt es inzwischen auch. Mit Schrecken und mit großer Vorstellungskraft malt er sich aus, welche Folgen diese Waffen in einem Krieg für die Soldaten haben würden.

„Man ließ ein Maschinengewehr schnurren, und schon spritzte es Kugeln dichter, als der Regen fällt! Als hätte der Tod die Sense aufs alte Eisen geworfen und wäre Maschinist geworden!“

Lamszus ist aufgewühlt und fassungslos. Zurück an der Schule nimmt er sich vor, seine Erfahrungen unter die Menschen bringen. Aber wie? Ein weiteres pädagogisches Traktat? Was soll man da bloß schreiben? Eigentlich will er ja die Jugend ansprechen und ihnen zeigen, was sich da allmählich in Europa zusammenbraut. Es soll eine unüberhörbare Warnung werden. Und tatsächlich gelingt das Wilhelm Lamszus. So entsteht 1912 die Idee, ein Jugendbuch gegen den Krieg zu schreiben. Ein Antikriegsbuch, wie es vorher noch keins gegeben hat. Er schreibt dieses Buch, in dem er unverblümt und drastisch einen kommenden Krieg schildert. Und drastisch ist auch der Titel: „Das Menschenschlachthaus, Bilder vom kommenden Krieg“.

Sein Antikriegsbuch hat überwältigenden Erfolg. In wenigen Monaten werden mehr als 100 000 Exemplare verkauft. 1913 erscheint eine Übersetzung auf Englisch, später auch auf Französisch und in weiteren Sprachen. Sozialdemokratische Zeitungen und die aufkommende Friedensbewegung loben das Buch überschwänglich.

Andreas Pehnke, dem wir verdanken, dass Lamszus nicht in Vergessenheit geraten ist, fasst in einem Beitrag für die ZEIT (August 2017) den Inhalt des Buches zusammen. Alles das, was zwei Jahre später tatsächlich begann, ist bei Lamszus schon vorhanden:

„Das Menschenschlachthaus“ erzählt das Schicksal eines jungen Familienvaters, der begeistert gegen den sogenannten Erbfeind Frankreich ins Feld zieht. Mit Marschmusik werden er und seine Kameraden verabschiedet. Vor dem Transport an die Front erleben sie noch in der Kirche die Waffenweihe im Namen Gottes, des Barmherzigen. Er erlebt den Einsatz neuer Waffen: Maschinengewehre und Landminen. Am Ende begeht dieser Soldat als einziger Überlebender in seinem Frontabschnitt Selbstmord und wird in einem Massengrab verscharrt.

Die bürgerliche Presse in Deutschland tobt mit den bekannten Vokabeln. Lamszus sei ein vaterlandsloser Geselle. Die politische Polizei lässt ihn observieren. Der kaiserliche Kronprinz fordert den Hamburger Senat auf, ihn aus dem Schuldienst zu entlassen. Lamszus wird zwar vorgeladen, aber Hamburg ist nicht Preußen. Der Senator teilt ihm mit, dass er das Buch gelesen habe und nichts Gesetzwidriges darin finden könne. Zwar teile er keineswegs die dort vertretenen Ansichten, aber es sei nicht verboten, seine Meinung über den Krieg offen aussprechen.

Wilhelm Lamszus (1881-1965)

In seiner Schule möchte man den unbequemen Lehrer jedoch nicht dulden. Lamszus wird nahegelegt, sich anderweitig zu engagieren. Er nimmt das Angebot an, die Lage der Deutschen in der französischen Fremdenlegion in Nordafrika zu studieren. Als der Weltkrieg tatsächlich beginnt, wird sein Antikriegsbuch verboten.

Hamburgisches Lehrerverzeichnis, Schuljahr 1924-25

In den 1920er Jahren ist Lamszus Lehrer an der Reformschule Tieloh-Süd in Hamburg-Barmbek, ab 1930 an der Meerweinschule in der Jarrestadt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird er als einer der ersten Hamburger Lehrer entlassen. Eine Professur an der Pädagogischen Hochschule Braunschweig darf er nicht übernehmen. Zum Berufsverbot kommt auch ein Schreibverbot. Seine Bücher werden am 10. Mai 1933 bei der Hamburger Bücherverbrennung am Kaiser-Friedrich-Ufer verbrannt und aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt. Von 1933 bis 1945 lebt Lamszus von seiner verminderten Pension und journalistischen Gelegenheitsarbeiten, die er unter einem Pseudonym veröffentlicht.

Wilhelm Lamszus (1881-1965) Bild aus chrismon 2014, © Marco Wagner

Nach 1945 kehrt er nicht mehr in den Schuldienst zurück, setzt sich aber weiter für seine pazifistischen und pädagogischen Ziele ein. Einen Ruf als Rektor der Pädagogischen Hochschule Berlin lehnt er aus gesundheitlichen Gründen ab. Er beantragt Wiedergutmachung für im Nationalsozialismus erlittenes Unrecht, die der Hamburger Staat 1956 ablehnt. 1960 verleiht ihm die Pädagogische Fakultät der Ost-Berliner Humboldt Universität die Ehrendoktorwürde. Wilhelm Lamszus stirbt 1965 in Hamburg mit 83 Jahren.

Das Gesamtwerk von Wilhelm Lamszus liegt inzwischen in einer beeindruckenden Werkausgabe vor, die Andreas Pehnke, Professor für Allgemeine Pädagogik an der Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald, herausgegeben hat. Auch der Donat Verlag bietet den Roman aktuell an: Wilhelm Lamszus, Das Menschenschlachthaus. Visionen vom Krieg, Erster und zweiter Teil. ISBN 979-3-943425-38-3, 14,80 Euro.

Einen sensationellen Fund gab es im Juli 2005 im ehemaligen Wohnhaus von Wilhelm Lamszus in der Wellingsbütteler Landstraße 36. Bei Renovierungsarbeiten wurde ein in Packpapier eingeschlagenes Paket entdeckt. Darin fanden sich Bücher, Zeitschriften sowie unveröffentlichte Manuskripte. Der Inhalt dieses versteckten Pakets lässt vermuten, dass Lamszus mit dem Machtantritt der Nazis politische Verfolgung und Hausdurchsuchungen befürchtete. Für ihn wichtige Bücher und eine Materialsammlung zu den Themen Gaskrieg und Luftschutz versteckte er offensichtlich so gut, dass sie erst jetzt wiedergefunden wurden.

Quellen
Andreas Pehnke (Hrsg.): Werkausgabe Wilhelm Lamszus, Die literarische Werkausgabe des Hamburger Friedenspädagogen Wilhelm Lamszus (1881–1965), Markkleeberg, 2016

Andreas Pehnke (Hrsg.), Wilhelm Lamszus: „Begrabt die lächerliche Zwietracht unter euch!“ Erinnerungen eines Schulreformers und Antikriegsschriftstellers, Markkleeberg, 2014

Wilhelm Lamszus, Die Begabungsschule, Ein Beitrag zur geistigen Wiedergeburt, 1919

Thomas Bastar, Pädagoge Wilhelm Lamszus, Ein vaterlandsloser Geselle, chrismon, Juli 2014 http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2014/ein-vaterlandsloser-geselle-21607

Historische Bildungsforschung Online, Rezension der Werkausgabe Wilhelm Lamszus von Andreas Pehnke https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26271

Uwe Schmidt, Hamburger Schulen im „Dritten Reich“, Hamburg, 2010

https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Lamszus

http://www.deutschlandfunk.de/feature-verlangt-von-automaten-dass-sie-denken-konnen-mit.media.0777e791ada312d40b39b39cf41d96e1.pdf

http://www.bredelgesellschaft.de/schoeps/rb2006.html#lamszus

2014 gab es in Wuppertal eine Ausstellung mit dem Titel „Menschenschlachthaus“. Sie zeigte, wie französische und deutsche Künstler unter dem Ersten Weltkrieg litten, ihn aber kaum im Bild festhalten konnten. Vorbild war ausdrücklich der Roman von Wilhelm Lamszus.

http://m.dw.com/de/die-kunst-kapituliert-vor-dem-krieg/a-17549361

https://youtu.be/2Vnq2QqdHaM

Textauszug aus: WILHELM LAMSZUS, Das Menschenschlachthaus (1912)
Die fliegende Erde
Mitten auf dem Marsch fiel einer neben mir zu Boden, streckte die Arme aus, klammerte sich am Boden fest und schrie und röchelte die Erde an. Kaum eine halbe Stunde später sahen wir den zweiten, der in Krämpfe fiel. Und als wir dann im nassen Graben lagen und den Feind erwarteten, sprang plötzlich einer auf und schrie und lief davon. Er lachte aus der Ferne zu uns her, bis er im Regen uns aus den Augen entschwand. Das Schreien und das Laufen hat uns alle angesteckt. Nicht lange mehr, dann kommst du selber dran.
Die eine Nacht, die wir in unseren Gräben lagen und mitten in dem Donner der Geschütze eingeschlafen waren, fuhr ich auf einmal auf – verwirrt – betäubt, und siehe da, die Sterne standen klar am dunklen, regungslosen Himmel und schienen feierlich, ach Gott, so feierlich in das Getöse nieder, als wäre alles nichts auf dieser Welt. Doch da – vor mir, vor meinen Augen flimmerte ein roter Schein – das ist ja eine Blutlache, die Sterne spiegeln sich darin so rot – – jäh überfiel mich eine blinde Wut, laut aufzuheulen und die Faust zu ballen, dem großen Meister droben ins Gesicht zu schreien – aber ich hatte nicht Zeit zu schreien und zu laufen. Denn in derselben Nacht geschah es, daß aus der Ferne ein unheimliches Surren zu uns kam. Das war der Tod, der auf Propellern zu uns flog. Die Nachtgespenster schwirrten her, wir schossen blindlings in die Luft; denn jeden Augenblick mußt es auf uns herunterstürzen … Die Rohre über uns … gleich spritzen sie … sie werfen Dynamit … und da, Leuchtbomben flammten auf… es schrie und krachte vor den Augen bin … dann waren sie davon … wir aber mußten aus den Gräben weichen … sinnlos, Maschinen gleich, sind wir den ganzen Tag marschiert. Ameisenkriechen fühlt ich in der Haut, die Nerven schmerzten, und säß uns nicht das Eisen im Genick, wir schmissen das Gewehr von uns und wälzten uns der Länge nach im feuchten Sande.
Und dennoch haben sie es fertig gebracht, uns nun am vierten Tage wieder festzusetzen; denn hinter uns, jenseits des Flusses sind unsere Regimenter hinübergegangen und suchen neue Stellungen. Wir aber müssen den Geländeübergang decken um jeden Preis.
Nun geht es auf den Rest. Wir standen noch, die Spaten in der Hand und warfen, lahm den Rücken und die Arme, neue Erde auf den Wall, da sahen wir vor uns auf dämmergrauem Feld Gestalten auf und ab, die wühlten geschäftig die Erde um und taten in die Löcher, was wir nicht sehen konnten, und gruben wieder zu. Lautlos waren sie bei ihrer Arbeit – kein schneller Schritt und keine heftige Bewegung – und als sie wieder zurückkamen und an uns vorbei und weiter zogen, da waren ihre Gesichter fahl und ihre Lippen stumm. Das sind uns kapitale Maulwürfe gewesen. Die haben gute Arbeit vollbracht. Sie haben die Erde unterminiert. Sie haben den Boden mit Sprengstoffen gefüllt, und wenn die Feinde heute nacht kommen, so werden wir ihnen mit Zinsen heimbezahlen, was sie uns gestern aus der Luft so reich beschert haben. Wie eine Mausefalle haben sie es aufgezogen.
Dort – auch vor dem Minenfeld liegen weit auseinandergezogen zwei Kompagnien. Auch sie haben Schützengräben ausgehoben, und mitten zwischen ihnen ohne die geringste Deckung steht unsere Batterie auf freiem Feld und steht, als sollte sie dem Feinde ausgeliefert werden.
Nun liegen wir in unsern langen Gräben und starren in das Feld hinaus und starren auf die scharfumgrenzten Silhouetten der Geschütze. Längst ist die Sonne untergegangen.
Aus weiter Ferne prasselt hell und dünn Gewehrfeuer zu uns herüber.
Ob es noch lange dauern wird?
Wir sollen unter den Gewehren bleiben.
Wir haben unsere Mäntel angezogen. Die Nacht ist kalt, und lauernd seh ich auf das Totenfeld – nun ist mir alles einerlei – wenn es nur bald vorüber wär. –
Eine Patrouille ist zurückgekommen und stattet flüsternd Meldung ab.
Man hat uns instruiert, nicht eher zu schießen, als bis das Feuerkommando ertönt und – – in die Luft zu schießen.
Da hinten weit am Horizont schwillt der Boden an, und die erhöhte Linie hebt sich vom Wolkenhimmel ab. Das Gewehrfeuer hat sich von Minute zu Minute verstärkt und ist zu drohendem Geknatter angewachsen. Rechts und links von uns ist das Gefecht in vollem Gang. Vor uns das Minenfeld liegt still, und auch die beiden Kompagnien liegen still in ihren Gräben. –
Ich spüre, daß ich furchtbar müde bin – – ich kann mich nicht mehr aufrecht halten – der Kopf sinkt aufs Gewehr – die Augen fallen zu – aber die überreizten Nerven bleiben wach –
Und jetzt –
Die Erde dröhnt. Das ist die Batterie! Sie feuert in die Nacht hinaus. So kommt die Reihe nun an uns.
Wir hören, wie das Schützenfeuer drüben bei den unsrigen eröffnet wird, und wie es plötzlich wächst und abflaut und wieder wächst zu rasendem Geprassel. Das ist ein überstarker Schützenangriff … sie können nicht mehr weit voneinander sein … und dennoch brüllt die Batterie und lockt den Feind zum Sturm heraus …
Und schon erhebt sich in dem nächtlichen Gefild ein kriegerisch Getümmel … Trompeten blasen durch die Nacht und Trommeln hallen dumpf… das ist ein Sturmangriff… es ruft und rennt … es donnert siegestrunken an den Nachthimmel … das ist der Siegesschrei von Tausenden … zu Tausenden sind sie da drüben auf die unsrigen gerannt und haben sie im Sturm erdrückt … haha! sie haben eine Batterie im Sturm genommen …
Warum wird es auf einmal still … das war der Sinn … nun kommen wir …
»Gewehre hoch! Schnellfeuer!« Und die Salve kracht. Und siehe da … da drüben jauchzt es wieder auf … das Sturmkommando ruft und Tausend rufen es zugleich … da kommt es angebraust … in dicken Fronten kommen sie gerannt, die Siegestrunkenen … es wälzt sich brüllend auf das Pulverfeld … es tritt die Erde wie Rossehufe … das ist der Tod! … Ich liege starr … jetzt muß es knallen, jetzt! … ich reiß den Mund weit auf … das Gewehr erzittert unter meiner Hand …
Und da –
Die Erde hat sich aufgetan … es blitzt und knallt, es donnert, und der Himmel reißt entzwei und fällt entflammt herab – die Erde fliegt in Stücken auf… die Menschen und die Erde explodieren und fahren rund wie Feuerräder durch die Luft … und dann … ein Krach, ein wütendes Getöse schlägt uns auf die Brust, daß wir rücklings zu Boden fliegen und besinnungslos im Sand nach Atem ringen … und nun … das Ungewitter schweigt … der Luftdruck weicht von unsrer Brust … wir atmen auf … nur noch zerstreutes Flammenspiel und Puffen … Feuerwerk …
Was aber ist denn das? – –
Wir lugen furchtsam über die Erdwälle hinaus. Hat sich die rote Hölle aufgetan?
Das schreit und gellt, das brüllt so unnatürlich wild und schrankenlos, daß wir uns enger aneinanderschmiegen … und zitternd sehen wir, wie unsere Gesichter, unsere Uniformen rote nasse Flecken haben und erkennen deutlich Fleischfasern auf dem Zeug. Und zwischen unsern Beinen liegt, was vorher nicht gelegen hat – weiß glänzt es auf vom dunklen Sande und spreitet sich … eine fremde, abgerissene Hand… und da… und da… Stücke Fleisch, daran die Uniform noch haftet – da wissen wirs und Grauen fällt uns an:
Da draußen liegen Arme, Beine, Köpfe, Rümpfe … die heulen in die Nacht hinaus, das ganze Regiment liegt dort zerfetzt am Boden, ein Menschenklumpen, der zum Himmel schreit …
Es steigen Wolken von der Erde hoch … die schreien in den Lüften auf … in dicken Schwaden kommen sie gezogen, daß wir die Wunden rauchen sehen und Blut und Knochen auf der Zunge schmecken …
Und da erhebt es sich gespenstisch vor den Augen … ich seh den roten Tod da draußen im Gefilde stehn … die Wolken zeigen ein Gesicht, das grinset in die Symphonie hinab … und plötzlich löst sich aus der Dunkelheit ein heller Ton, den fiedelt der verzückte Tod bis zum Zerspringen vor sich her … ist das ein Mensch, was da gelaufen kommt … da saust es her … er wird auf unsern Rücken springen … halt! halt!! halt!!! hoch stolpert er den Schützengraben hoch und fällt mit Glucksen und Geheul mitten in unsere Gewehre hinein. Er schlägt mit Händen und Füßen nach uns … er weint und strampelt wie ein Kind, und doch wagt keiner hinzuzuspringen … denn nun erhebt er sich aufs Knie … da sehen wir, das halbe Antlitz ist ihm weggerissen … das eine Auge weg … der zuckende Backenmuskel hängt herunter … er kniet und krampft die Hände auf und zu und heult uns um Erbarmen an –
Wir sehen ihm voll Grauen zu und sind gelähmt … da endlich hebt der Holsteiner – und unsere Augen sagen Dank – den Kolben hoch und setzt die Mündung auf die heile Schläfe … ein Knall … und der Verstümmelte fällt hinten über und bleibt gestillt in seinem Blute liegen.
Und wieder wirft die Dunkelheit Gestalten aus … die laufen an und taumeln wie Betrunkene … sie schlagen hin und raffen sich von neuem auf… sie springen vorwärts zickzack durch die Nacht, bis sie zuletzt erschöpft zusammenstürzen und vor unsern Augen liegen bleiben und verenden …
Und endlich kommt einer herangekrochen … auf allen Vieren kriecht er her … er schleppt am Leibe etwas hinter sich, und ob er winselt wie ein kranker Hund und heult hell auf in langgezogenen Tönen … er kriecht doch rüstig her – und als er bei uns ist, da sehen wir – das Blut bleibt uns im Herzen stehn – es sind die Eingeweide, die heraus zum Leibe hangen … der Unterleib ist ihm von unten her zerrissen worden … er kriecht, er kriecht in seinen Eingeweiden hin … er kommt … die Eingeweide kommen … Entsetzen bricht aus allen Poren aus … denn kaum drei Schritte vor mir bleibt er liegen …
 

Dieser Beitrag wurde unter An der Front, Gegen den Krieg! abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.