Der Krieg begann 1914 mit der sogenannten Mobilmachung. Mobilmachung bedeutet ja laut Wikipedia die allgemeine „Vorbereitung der Streitkräfte eines Staates auf den Einsatz, meist für einen Angriffs- oder Verteidigungskrieg“. Das Wort „mobil“ konnte man aber in den Augusttagen 1914 wörtlich nehmen – war doch alles in rasanter Bewegung. Soldaten, Pferde, Waffen und der Nachschub an Verpflegung – all das wurde in einem bis dahin nicht vorstellbaren Tempo mithilfe der Eisenbahn an die Fronten transportiert. Die Eisenbahn hatte zum ersten Mal kriegswichtige Bedeutung. Wie sollte sie diese Aufgabe bewältigen, ohne den zivilen Verkehr einzuschränken?
Für viele Soldaten war die Fahrt an die Front die erste größere Reise mit der Eisenbahn. Während des Aufmarsches im August 1914 fuhren täglich 660 Kriegs-Züge in Richtung Westen. In 11000 Transporten wurden über drei Millionen Mann und 860000 Pferde an die Front gefahren. 1914 waren bereits eigene Eisenbahnregimenter für den Bau von Militäreisenbahnen zuständig.
Quelle: H. Glaser / N. Neudecker, Die deutsche Eisenbahn, München, 1984, S. 215
Eisenbahn als Kriegsinstrument war an sich nichts Neues. Der erste militärische Transport auf der Eisenbahn fand bereits 1832 in England statt, wo versuchsweise ein Infanterieregiment auf der Bahn von Liverpool nach Manchester gebracht wurde. In Deutschland fand der erste größere Truppentransport im Jahre 1846 statt. Es wurden 9990 Mann, 309 Pferde und 10 Feldgeschütze des 4. preußischen Armeekorps auf der oberschlesischen Bahn nach Krakau befördert.
In größerem Maßstabe wurde die Eisenbahn 1866 von den Österreichern genutzt, um die Südarmee aus Italien nach dem nördlichen Kriegsschauplatze zu transportieren. 123 000 Mann mit 16 631 Pferden, 259 Geschützen und 2777 Fahrzeugen wurden auf drei nur zum Teil doppelgleisigen Linien in etwa zehn Tagen eine Strecke von über 750 Kilometer befördert.
Längst vor 1914 hatte man begonnen, die in den Kriegen 1866 und 1870 gewonnenen Erfahrungen zu perfektionieren. Beim großen Erfolg Hindenburg in Polen sprach man auch schnell von einem „Eisenbahnsieg“ – so ein italienischer Militärsachverständiger -, und als einen „Eisenbahnkrieg“ bezeichnete man bald die mit „unübertrefflicher Verwendung der Schienenwege“ durchgeführten Operationen auf dem östlichen Kriegsschauplatz.
In der Zeitschrift für Heimatkunde und Heimatliebe für die deutschen Verkehrs-Interessen wird schon 1915 die Bedeutung der Eisenbahn für den Krieg hervorgehoben. Es gibt dort einen ausführlichen Bericht über die Einschränkungen des normalen Reiseverkehrs. Wie wird z.B. der bayrische Sommerfahrplan für 1915 aussehen? Welche Einschränkungen gibt es für Reisende in den Grenzgebieten?
Es lohnt sich diesen Artikel – mit geringen Kürzungen – im Original zu zitieren. Erstaunlich sind die zahlreichen Verbote für Reisende, sich Karten oder Reiseführer von kriegsnahen Gebieten zu kaufen oder zu benutzen. Manches erinnert an frühere DDR-Gepflogenheiten. Erstaunlich auch, dass ständig schon die Rede ist von Friedenszeiten und Friedensfahrplänen. Sprachlich wie inhaltlich sind diese Berichte allerdings für den heutigen Leser eine große Herausforderung.
Deutschlands Eisenbahnbetrieb zur Kriegszeit (1915).
Die Bedeutung der Eisenbahnen für den Verlauf der Operationen ist durch die letzten großen Siege im Osten wieder ins hellste Licht gerückt. Die deutschen Eisenbahnen sind ein hervorragendes Instrument der Heeresleitung, das von den Militäreisenbahnbehörden mit fester und sachkundiger Hand geführt wird. Sämtliche Eisenbahnen Deutschlands befinden sich seit dem Tage der Mobilmachung im Kriegsbetriebe. Das bedeutet, daß die Bahnverwaltungen bezüglich der Einrichtung, Fortführung, Einstellung und Wieder-aufnahme des Bahnbetriebes den Anordnungen der Militärbehörde Folge zu leisten haben. Die Ausführungsanweisungen für die Regelung des Kriegsbetriebes gibt der Chef des Feldeisenbahnwesens im Großen Hauptquartier durch die Linienkommandanturen an die Bahnbevollmächtigten für Militärangelegenheiten. Die Linienkommandanturen sind dafür verantwortlich, daß den Anforderungen der Heeresleitung so entsprochen wird, wie es nach der Leistungsfähigkeit der Bahnen nur irgendmöglich ist. Daß ein enges Zusammenarbeiten der Linienkommandanturen und Bahnbevollmächtigten Vorbe-dingung für den Erfolg der Arbeit ist, liegt auf der Hand.
Im Unterschied zum Heimatgebiet führen in den eroberten Gebieten die Militäreisenbahnbehörden auch den Eisenbahnbetrieb selbständig. Hierzu sind ihnen Eisenbahntruppen sowie Eisenbahnbau- und Betriebskolonnen, Eisenbahntelegraphen-kolonnen usw. unterstellt. Diese Kolonnen werden aus Personal der Heimatverwaltungen gebildet, das in den Heeresdienst übertritt. Truppenverschiebungen im Kriege werden meist kurzerhand befohlen. Sie können sich nur dann pünktlich vollziehen, wenn die Linienkommandanturen weit vorausschauend vorgesorgt haben, ohne Umfang, Zeitpunkt, Richtung, Beginn und Ende der bevorstehenden Transportbewegungen mit Bestimmtheit voraussagen zu können.
In erster Linie richtet sich die Vorsorge darauf, daß auch bei plötzlich eintretendem Bedarf Leerzüge zur rechten Zeit zur Stelle sind. Die Linienkommandanturen entwerfen den Fahrplan für die Militärtransporte, der dichte Zugfolge bei vollster Betriebssicherheit bieten muß. Auch die Verpflegung von Mann und Pferd während der Eisenbahnfahrt bedarf der gründlichsten Vorbereitung.
Für das Heimatgebiet setzen die Bahnbevollmächtigten das Ergebnis der vorbereitenden Arbeit der Linienkommandanturen in die Tat um; für sie fällt erschwerend ins Gewicht, daß ein großer Teil des Eisenbahnpersonals wie auch des Wagenparks und der Lokomotiven zum Betriebe auf den eroberten Bahnen abgegeben ist.
Die militärischen Stellen sind bei ihren Anordnungen natürlich ebenso wie die Eisenbahnverwaltungen bemüht, den Personenverkehr – auch mit Schnellzügen – nicht wesentlich zu stören, während der Güterverkehr den großen Militärtransportbewegungen ganz oder teilweise weichen muß.
Sobald der Befehl zum Truppentransport an die Linienkommandanturen ergeht, gilt es schleunigst in enger Fühlung mit den Truppenbehörden und unter Berücksichtigung der Bahnverhältnisse das Ein- und Ausladegebiet zu bestimmen, dort die Vorbereitungen für Massenein- und -ausladungen von Truppen zu treffen und die pünktliche Heranführung der Leerzüge an die Einladebahnhöfe zu bewirken. Die untergebenen Dienststellen und Nachbargebiete erhalten Weisung oder Nachricht, damit sie die nötigen Maßnahmen für die Transportdurchführung, für die Verpflegung der Truppen, die Versorgung der Lokomotiven mit Wasser und Kohle usw. treffen können.
Die Linienkommandanturen und Bahnbevollmächtigten verfolgen mit gespanntester Aufmerksamkeit bei Tag und Nacht den Lauf der Transportbewegung durch ihr Liniengebiet. Trotz der vortrefflichen Schulung unserer Eisenbahner sind Störungen solcher gewaltiger Transportbewegungen wohl möglich.
Da gilt es, Stockungen in ihren ersten Anfängen zu erkennen und zu beseitigen, unter Umständen auch bei größeren Störungen mit energischer Hand verantwortungsfreudig einzugreifen, um durch Umleitung der Transportbewegungen oder sonst geeignete Maßnahmen dem vorzubeugen, daß die Truppe nicht rechtzeitig an den Feind kommt.
Die Vorbereitung der Linienkommandanturen und Bahnbevollmächtigten im Ausladegebiet müssen derartig sein, daß sich die Truppenausladungen und der Abfluß der entleerten Züge ohne Verzögerung vollziehen, da sonst die nachfolgenden vollen Züge aufgehalten werden und die ganze Bewegung ins Stocken gerät. Die Abteilung der entladenen Züge, die sich oft zu Hunderten folgen, muß nach wohlerwogenem Plan erfolgen, damit schwer entwirrbare Verstopfungen wichtiger Bahnlinien vermieden, die Leerzüge vielmehr ohne Aufenthalt neuen Aufgaben zugeführt werden können.
Der Entwurf des Sommerfahrplans 1915 für Bayern.
Bei Aufstellung des Entwurfs für den Sommerfahrplan 1915 ist die bayrische Staats-eisenbahnverwaltung von folgendem Gesichtspunkt ausgegangen: Die Entwicklung des Personenverkehrs in den Kriegsmonaten seit August vorigen Jahres war verhältnismäßig günstig. Die Einnahmen aus diesem Verkehr – ausschließlich der Einnahmen aus dem Militärverkehr – haben im August 1914 58,5 %, im Januar 1915 74,7 % der Einnahmen in den entsprechenden Monaten des Vorjahres betragen.
Wenn in Friedenszeiten auf einer Reihe von Hauptbahnlinien vier bis fünf Schnellzugpaare verkehrten, so kann im allgemeinen zurzeit mit drei Schnellzugpaaren Genüge gefunden werden. Die Führung von so stark beschleunigten Schnellzügen, wie sie im verflossenen Friedensfahrplan gefahren worden sind (wie beispielsweise jene zwischen Berlin und München, München-Frankfurt und München-Salzburg), wäre zurzeit kaum vertretbar. Bei Zusammenlegung von Schnellzügen müssen mehr Unterwegsaufenthalte vorgesehen und damit muß eine Verringerung der Fahrgeschwindigkeit zugestanden werden. Der künftigen Entwicklung der wirtschaftlichen Lage wird es vorzubehalten sein, ob dieser Grundsatz nicht auch nach dem Krieg noch längere Zeit beibehalten werden muß.
Kommerzienrat Christlich räumte ein, daß bei den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen an Verbesserungen des Fahrplans das denkbar Mögliche geschehen sei. Die Bevölkerung erkenne an, daß die Eisenbahnverwaltung den Ansprüchen des Reiseverkehrs auch im Kriege nach Kräften gerecht geworden sei, und habe weitergehende Anforderungen zurückgestellt. Die bedeutsame Tatsache, daß die Einnahmen aus dem Personenverkehr wieder nahezu 75 % des Friedensverkehrs erreicht hätten, beweise, daß der Binnenverkehr weitaus überwiege. So wünschenswert es an sich erscheine, daß nach dem Friedensschluß auch der Fremdenverkehr wieder gehoben werde, so dürfe dies doch nicht auf Kosten des Inlandverkehrs geschehen. Da es während des Krieges naturgemäß erhebliche Schwierigkeiten bereite, die Interessen der Militärverwaltung und des Privatreiseverkehrs in Einklang zu bringen, müsse wohl von weitergehenden Wünschen abgesehen werden.
Der Vorsitzende dankte für die anerkennenden Worte und versicherte, daß sich die grundsätzlichen Anregungen über die künftige Gestaltung des Friedensfahrplans mit den Anschauungen der Verwaltung vollkommen decken.
Reisen in den deutschen Grenzgebieten.
Das Kriegsministerium hat über das Reisen in unsern Grenzgebieten während des Krieges eine Reihe von Bestimmungen erlassen. Auf einer Konferenz im Großen Generalstab wurden diese Bestimmungen festgesetzt.
Allgemein wird darauf hingewiesen, daß Verkauf, Vertrieb und Versendung von Wegekarten, Lageplänen, Panoramen und Führern in einer Entfernung von 100 Kilometer von unsern Grenzen verboten sind. Damit ist nicht gesagt, daß das Wandern in jenen Gebieten, soweit sie ungefährdet sind, behindert werden soll.
Das R i e s e n g e b i r g e ist in seinem ganzen Umfang für den Verkehr zugänglich. Aus den vorhandenen Führern sind nur die Eingangswege vom Osten und Südosten entfernt worden, so daß sich am Verkehr im eigentlichen Gebiete des Riesengebirges selbst nichts verändert. Die großen und vielbesuchten schlesischen Bäder bleiben den Heilungsuchenden und dem Verkehr erschlossen. Für die Provinzen Posen, Ost- und Westpreußen sowie Pommern sind dagegen sämtliche Führer für Gebiete und- Städte während des Krieges beschlagnahmt. Das gleiche gilt auch für die Großherzogtümer Mecklenburg und die Provinz Schleswig-Holstein. Trotzdem ist es uneingeschränkt erlaubt, die Ostseebäder zu besuchen; das Publikum kann mit besonders zugelassenen Prospekten oder Führern ohne Kartenmaterial versorgt werden.
Die vielbesuchten Seen und Städte Mecklenburgs müssen ebenfalls ohne die sonst üblichen Führer bereist werden, da nur für einen kleinen Teil im Süden der Großherzogtümer Auskunftsmaterial abgegeben werden darf. Die Nordseeküste mit den Bädern und ihren Ausgangspunkten: Hamburg-Kuxhaven, Bremen-Bremerhaven, Oldenburg, Emden ist selbstverständlich von dem Verbot der Karten- und Führerabgabe betroffen, was aber einen Besuch dieser Städte nicht ausschließt.
Der Besuch der Nordseeinseln selbst mit ihren Bädern ist lediglich dem Publikum zu empfehlen, das sich den besonderen Bestimmungen des Marinefiskus unterwirft. Als Wichtigstes ist hervorzuheben, daß der Strand auf einzelnen Inseln nur tagsüber und auch dann nur mit besonders bekanntgegebenen Einschränkungen den Badegästen freigegeben wird.
Für die Lüneburger Heide gilt ebenfalls das Verbot der Abgabe von Karten und Führern, da die offene Begrenzung erst auf der Linie Lüneburg-Uelzen-Soltau vorhandenes Führermaterial gestattet.
Auch für den Rhein, die Rheingebiete, die Vogesen und teilweise für den Schwarzwald gilt das Verbot. Für das Moselgebiet, die Eifel und die Bayrische Rheinpfalz sind sämtliche vorhandenen Führer und Wegekarten von dem Verbot betroffen. Der Schwarzwald unterliegt besonders im Badischen diesem Verbot; hingegen kann für den schwäbischen Schwarzwald das vorhandene Material geliefert werden. Das Gebiet des Bodensees, die Bayrischen Alpen, die Fränkische Schweiz, das Fichtelgebirge, der Bayrische und Böhmer Wald, das Erzgebirge, die Sächsische Schweiz, der Harz mit dem Kyffhäusergebirge, die Weserberge und der Teutoburger Wald, Thüringen, Spessart, Rhön, Odenwald und schließlich der Taunus sind von dem Verbot nicht betroffen, und jeder Führer sowie jede Karte ist ohne Einschränkung zu benutzen.