Versenden und Sammeln von Ansichtskarten war schon vor dem 1. Weltkrieg eine sehr beliebte Beschäftigung. Vor allem wer auf Reisen war, schickte die schnelle Karte. In Großstädten wurde bis zu dreimal am Tag die Post ausgeliefert. Ab August 1914 begann eine Reisewelle der besonderen Art. Viele deutsche Männer waren zum ersten Mal so richtig weit weg von zu Hause – in Belgien, Frankreich oder Russland. Umso wichtiger war der Kontakt zur Heimat. Also jetzt Feldpost. Meistens Feldpostkarte als schneller Gruß von der Front. Die Verlage und Druckereien schwenkten ihre Postkartenproduktion sofort auf das Thema Krieg ein. Aber welche Motive sollte man nehmen? Originalfotos der Schlachten und Kriegsschauplätze? Die grausame Wirklichkeit des Krieges wiedergeben? Das hätte sich bestimmt nicht verkauft. Außerdem war es verboten. Aber was dann?
Hastig und millionenfach begann nun die Produktion von Postkarten, die irgendwie, aber nicht zu genau einen Bezug zum Kriegsgeschehen haben sollten. Möglichst verharmlosen, möglichst vermenschlichen, möglichst Herz-Schmerz – das verkauft sich immer. Abgebildet wurden natürlich auch Generäle, wenn sie eine Schlacht gewonnen hatten, und der Kaiser in Kriegsuniform. Es gab auch Propaganda gegen den bösen Feind. Aber am besten verkaufte sich doch das, was man heute wohl als Kitsch-Postkarten bezeichnen würde.
Verharmlosen, verniedlichen, vermenschlichen – unter diesem Motto lassen sich die Gestalter von Postkarten viel einfallen. Fräulein Feldgrau z.B., das fesche Mädel mit Bubikopf und neckischem Augenaufschlag trägt statt Handtäschchen einen Klappspaten unterm Arm und blinzelt dem Betrachter verlockend zu, als ob es zu einem heimlichen Rendez-vous gehen würde. Sie weiß auch schon, wo – im Schützengraben: Fürs Vaterland zu schippen ist Ehre uns und Lust.
Zur Ansichtskarte
Die Karte hat übrigens kurz vor Kriegsende am 29. September 1918 eine gewisse Helene an ihren Henry verschickt. Unklar ist, warum sie gerade diese Karte für ihren Liebling ausgewählt hat. Vielleicht weil sie ihn etwas ablenken will von der rauen Wirklichkeit, vielleicht aber auch nur, weil sie ihm nur schnell einen Gruß schicken will. Das machen die Menschen ja heute noch, wenn sie auf Reisen sind: schnell eine Postkarte aus dem Ständer ziehen, Mein Liebling…, das Wetter…, liebe Grüße… und ab geht die Post. Helene fährt nämlich gerade mit der Bahn. Der Zug, der sie nach Hause bringen soll, hält für über eine Stunde in Hamburg. Da nutzt sie die Zeit, kauft diese Postkarte und schreibt an ihren Liebling Henry.
Feldpost Ers.Res. Henry Weber Feld-Rekr.Depot 5 I.D. Stab Deutsche Feldpost Nr. 399 Hamburg, 28./9. 18. Mein Liebling! Befinde mich auf dem Wege zum lieben Elternhaus; ausnahmsweise bei schönstem Reisewetter. Schade daß Du fehlst. Habe bis Dienstag den 1. Okt. frei, da wir seit 8 Tg. eine Wärterin haben u. ich nur deshalb weg konnte. Nachher ist es einfach unmöglich. Werde diese Tage Deinen Wunsch betreffend der Pfeife erfüllen. Mit den herzlichsten Grüßen u. Küssen verbleibt: Helene auf der Vorderseite ergänzt: Mein Liebling: Augenblicklich 1 ½ Std. Aufenthalt (am) Hamburger Bahnhof. Hoffentlich geht‘s dir gut.