Schon im August 1914 kam es zu Kampfhandlungen auf französischem Boden. Zunächst im Elsass, dann in Nordfrankreich, wo die deutschen Truppen Belgien durchquert hatten und nun auf französischem Boden schnell weiter marschieren wollten. Richtung Paris. Aber das ging nicht mehr so schnell wie erhofft. Aus einer kurzen Einquartierung wurde jetzt häufiger eine längere Besatzungszeit. Da musste man sich mit den Stadt- und Dorfbewohnern verständigen. Aber wie? Zeichensprache reichte auf Dauer nicht.
Der Hauptmann Haasmann aus dem Königlichen Infanterie-Regiment „König Georg“ hatte eine famose Idee. Er schrieb einen Soldaten-Sprachführer und ließ den im Auftrag von wem auch immer schnellstens drucken. Hunderttausende von diesen Broschüren wurden für 20 Pfennig verkauft. Darin sollte der Offizier, aber auch der gemeine Soldat alles finden, um sich mit Monsieur oder Madame Dupont unterhalten zu können. Wobei Unterhaltung übertrieben ist. Hauptmann Haasmann hat nämlich in seinem Sprachführer fast nur Befehle oder Fragen aufgenommen. Dunkel bleibt, wie die deutschen Soldaten die entsprechenden Antworten der Franzosen verstehen sollten.
Zumindest für das schwierige Kapitel „Aussprache“ hat er gesorgt und damit den sprachlichen Dreisprung vom deutschen Wortlaut über die Aussprache zum französischen Text. Das sieht dann so aus:
Zeigen Sie mir den Bahnhof!
Mongtreh moa la gahr!
Montrez-moi la gare!
oder
Sind die Einwohner feindlich?
Läh sabitang ßongtil osthil?
Les habitants sont-ils hostiles?
Auf solche kurzen Fragen gab es sicher keine kurze Antwort. Mit Händen wurde gestikuliert, und im Gesicht des Befragten konnte man auch einiges ablesen. Ob man da verstanden hatte, was der Feind einem sagen wollte? Das kleine Heft vom Hauptmann Haasmann hat 34 Seiten und gliedert sich in zehn Kapitelchen: Auf Erkundung, Auf dem Marsch, Post und Bahn, Auf Posten und Vedette, Quartier machen und Requirieren, Im Quartier, Im Orte, Kartenlesen, Französische Kommandos, Allgemeines.
Begleiten wir einen Erkundungstrupp bei der Quartiersuche in einem französischen Dorf. Die Fragen und Befehle lesen sich fast so wie ein Drehbuch für einen Film. Die Rollen sind klar verteilt.
Führen Sie mich zum Gemeindevorstand. Conduisez-moi chez le maire. Kondüiseh moa scheh lö mähr.
Beim Bürgermeister dann hat der Quartiermeister vielleicht schon den Soldaten-Sprachführer in der Hand und versucht seine deutsche Zunge an französische Laute zu gewöhnen.
Bong schuhr! Unsere Truppen kommen bald hier an. Lassen Sie Wassereimer vor die Tür setzen. Ist das Wasser gut? Wieviel Brunnen gibt es? Il y a trop peu d’eau. Lassen Sie Wasser holen.
Où est l’auberge? Wo wohnt der Bäcker? Lö buscheh? Der Kaufmann? Lö medßäng? Der Tierarzt?
Wenneh aweck moa! Gibt es einen Schuhmacher hier? Einen Schlosser? Il nuh foh dih woatühr eh wäng schöwoh. Wo kann ich Streichhölzer und Tabak kaufen? Wir haben kranke Pferde. Dieses Pferd lahmt. Lassen Sie es pflegen. Wo wohnt der Hufschmied? Danke vielmals, Herr Gemeindevorstand: Merci beaucoup, Monsieur le maire.
Ja, auch für die Pferde musste gesorgt werden. Hier gab es sicherlich eine schnelle Verständigung zwischen Jacques und Friedrich. Pferden muss geholfen werden, auch wenn sie dem Feind gehören. Eine härtere Gangart entwickelt sich dann aber im Kapitel Quartiermachen, Requirieren. Hier sieht das Drehbuch folgenden Auftritt der deutschen Eindringlinge vor. Wieder geht es erst einmal zum Bürgermeister.
Bong schuhr, êtes-vous le maire? Wir sind hier, um Quartiere vorzubereiten. Sont ils pauvres – riches? Lügen Sie nicht, das Dorf scheint sehr wohlhabend zu sein.
Alles wird später bezahlt. Kongbiäng dö mäsong iatil? Notez ce chiffre.
Sie sind verpflichtet zu liefern: cinq boefs, six moutons huit porcs, dih lapäng, karangt lihtr dö wäng ruhsch. 200 Schlafdecken, quatre cents cigares eh troa ßang söh. Wenn die Einwohner Lebensmittel verstecken, bezahlt die Stadt 10 000 Frank Strafe.
Personne ne doit sortir le village. Läh ßortih dü willahsch ßong gardeh. Il me faut vingt hommes pour charger les voitures. Der Kutscher, der falsch fährt, wird erschossen.
Dann wird es auf Seite 24 plötzlich menschlicher. Im Kapitel Quartier wird zum ersten Mal eine Frau angesprochen. Man hat sich vielleicht schon öfter auf der Straße gesehen und sich stumm in die Augen gesehen. Sie ist sogar noch schöner als die französischen Weiber auf den Postkarten, die man jetzt überall angeboten bekommt. Wie soll man diese hübsche Französin ansprechen, wenn man gerade mal merci und oh revoahr sagen kann? Vielleicht auf dem kleinen Dienstweg. Jeder Soldat hat die Pflicht seine Kleidung in Ordnung zu halten. Tja, die Uniform, das Hemd, die Hose, ja auch die Unterhose sind nicht mehr ganz sauber. Vielleicht geht die kleine Süße ja einem an die Wäsche. Also was steht im Sprachführer: Wollen Sie meine Wäsche waschen? Merßih bohkuh, Madam! Haben Sie einen Knopf für meine Hose?
Der Sprachführer sagt allerdings nicht, wie aus dieser fast dienstlichen Anweisung ein vertraulicheres Gespräch entstehen könnte. Oder doch? Hauptmann Haasmann empfiehlt jetzt auf Französisch den Allerweltsatz: Ich bin müde, Schö swih fatigeh. Und dann gleich hinterher den vieldeutigen Satz: Wo schlafen wir? Aber die Schöne reagiert nicht darauf. Der einzige Satz auf Französisch, den man schon in Deutschland kannte, würde jetzt zu weit gehen. Je t’aime. Also jetzt die Mitleid-Tour. Ich friere. Scheh froid. Ich bin krank. Schöh swih malahd. Aber auch das hilft nicht.
Dann bleibt nur noch, sich auf das Zimmer zurückzuziehen, sich auszuruhen, denn man ist tatsächlich müde von dem langen Marsch heute. Vielleicht noch eine letzte Frage – oder jetzt doch schon eher ein Befehl: Geben Sie mir bitte Schreibzeug, Papier und einen Federhalter. Öng port plühm. Dann zieht man sich zurück und schreibt bei Kerzenschein mit schlechtem Gewissen an die liebe Frau zu Hause. Eine solche Karte gibt es tatsächlich, geschrieben von einem gewissen Karl. Er schreibt am 7. April 1916 an seinen Liebling zu Hause.
Liebes Mamachen & Bub!
Gestern hatte die Post nichts Neues von Dir u. heute erhielt ich wieder nichts. Ich weiß gar nicht an was das liegt. Ich will Dir aber doch ein Kärtchen schreiben, daß Du immer etwas von mir erhältst.
Sonst bin ich Gott sei Dank gesund, was ich von Euch Lieben auch alle hoffe. Wie geht es denn Dir mein süßes Herzchen. Hoffentlich kann ich doch bald mal zu Dir kommen. Und wir können mal ein paar Stündchen zusammen verweilen, das wäre schön, gelt mein Liebling.
Es grüßt u. küsst Dich u. Bubi herzl. Dein lieber Karl u. Papa
Auf baldiges Wiedersehen.
Die Sehnsucht ist groß – trotz der Versuchungen im französischen Städtchen. Vielleicht gibt es ja wirklich bald ein paar Urlaubstage, um in die Heimat zu fahren. Dann wird man zeigen, was man alles auf Französisch sagen kann. Willst du meine Wäsche waschen? Mir ist kalt. Schöh swie fatigeh. Vielleicht wird Karl am Morgen im warmen Ehebett, spätestens aber beim Abschied und der Umarmung auf dem Bahnsteig seinem süßen Herzchen den Satz ins Ohr flüstern, der eigentlich nach Frankreich gehört: Je t‘aime.
Abschließend sei noch angemerkt, dass der Hauptmann Haasmann für den Krieg an den anderen Fronten noch weitere Sprachführer verfasst hat: auf Italienisch, Kroatisch und Polnisch.
http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN715678914&PHYSID=PHYS_0003
http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN734549210&PHYSID=PHYS_0001
Später, als der Krieg immer mehr Opfer forderte, hat er mit dem Stabsarzt Dr. Seyfert einen Sprachführer für den Verkehr mit Verwundeten und Gefangenen herausgegeben: Französisch, Deutsch, Englisch, Russisch. So kann man auch die Weltsprachen erlernen.
http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN715714414&PHYSID=PHYS_0001