Tornister tragen und ertragen

In Frankfurt wurde gleich zu Beginn des Krieges die große Festhalle auf dem Messegelände beschlagnahmt. Die Militärverwaltung machte daraus eine Kleiderkammer. Wo vorher noch Sechstagerennen, Ausstellungen und der Circus Sarrasani die Massen angelockt hatten, standen jetzt tausende junger Männer Schlange. Die einen unbeschwert, andere vielleicht schon bedrückt und ahnungsvoll.
Tornister ex - KopieSo lief es im ganzen deutschen Reich ab. Mobilmachung hieß das Ganze. Es musste schnell gehen. In den kleinen und großen Städten standen die eingezogenen Rekruten vor den Kleiderkammern – noch in Zivil – und traten wenig später ins Freie, einsatzbereit für den Kampf gegen den Feind.
Zumindest war ihre Ausrüstung jetzt vollständig. Spätestens beim ersten Marsch in Richtung Front merkte aber so mancher der jungen Soldaten, dass der Krieg nicht ganz so unbeschwert verlaufen würde. Was hatte man nicht alles zu tragen. Schwer drückte der Tornister schon beim ersten Marsch und schwer das Gewehr. Und das war ja erst der Anfang.

tor_0001 spWir können uns heute kaum vorstellen, was das damals für die jungen Bauernsöhne, Bäckergesellen und Bürogehilfen bedeutete. Wer bei der Infanterie war, musste marschieren. Tagelang nur mit kurzen Unterbrechungen. Parademarsch war einmal. Jetzt ging es im Spätsommer 1914 durch Belgien und dann weiter nach Frankreich. Es sollte ja alles schnell gehen – das war die Absicht der Generäle. Aber es dauerte. Und immer und überall musste jeder Soldat seine gesamte Ausrüstung dabei haben. Immer marschbereit und einsatzbereit. So manch einer der Soldaten kam auf den langen Märschen ins Grübeln. Keiner ahnte, wie lange das alles wirklich dauern sollte.

Was da alles mitgeschleppt werden musste! Überall hing etwas an einem herunter: die Patronentaschen, die Zeltrolle, das Kochgeschirr, der Brotbeutel, die Feldflasche und der Spaten. Der Tornister aber war gewissermaßen das Zentrum aller Lasten, vollgepackt mit den wichtigsten Utensilien zum Leben und Überleben.

Inhalt des Tornisters
http://www.agw14-18.de/formgesch/formatio_rek.html
Eiserne Portion für zwei Tage:
1 Zweiportionspaket Gemüsekonserven (300g)
2 Zwiebacksbeutel (500g)
2 Kaffeebüchsen (50g)
1 Zweiportionsbüchse Fleischkonserven (400g)
1 Paar Schnürschuhe
Gewehrreinigungsmaterial Lederfett,Gewehrfett, Putzlappen, Borstenpinsel)
Putzzeug (Kleiderbürste, Stiefelbürste, Auftragebürste, Messingputz)
Wäsche (1 Hemd, 1 Paar Strümpfe oder Fußlappen, 1 Taschentuch, 1 Unterhose)
1 Soldbuch
1 Feldgesangbuch
1 Löffel
1 Messer
Waschzeug
Patronen (2 Pakete in den Patronenbehältern)
Zeltgeräte (3 Zeltstöcke, 3 Zeltpflöcke, 1 Zeltleine im Zeltzubehörbeutel)

Das Gewicht der gesamten Kriegsausrüstung eines Mannes mittlerer Größe betrug ohne Schanzzeug über 25 kg, die sich wie folgt aufteilten:
Bekleidungsstücke 5,4 kg
Waffen und Munition 7,51 kg
Tornister 13,8 kg (mit Ausrüstung, Patronen und Notverpflegung).
Die Notverpflegung war ja auf zwei Tage angelegt. Das Verzehren der Eisernen Portion wurde unter schwere Strafe gestellt. Angebrochen werden durfte sie nur auf besonderen Befehl des Einheitsführers, was bereits im Bewegungskrieg oftmals ausblieb und von der Truppe daraufhin selbstständig und individuell gehandhabt wurde.
Den Mannschaften war es oft nicht bekannt, dass sie zwei eiserne Portionen, mithin Verpflegung für zwei Tage, bei sich tragen. Mehrfach wurden beide eisernen Portionen an einem Tage verzehrt und die Truppe litt dann am zweiten Tage Mangel.

Den feindlichen Soldaten ging es nicht viel besser. Auch sie trugen ihre Last ständig und überall. Von Jean Echenoz wissen wir genau, was z.B. die französischen Soldaten im Gepäck hatten. In seinem Roman „14“ beschreibt Echenoz auf zwei Seiten den Inhalt des  Soldaten-Tornisters „Modell Karo As 1893“.
http://www.zeit.de/kultur/literatur/2014-02/jean-echenoz-14
http://www.perlentaucher.de/buch/jean-echenoz/14.html

Erst mal wog dieser Tornister, wenn er leer war, nicht mehr als sechshundert Gramm. Dann aber wurde er rasch schwerer dank einer ersten Garnitur aus vorschriftsmäßigem Gepäck, das sorgfältig verpackt wurde und aus Nahrungsmitteln bestand – Fläschchen mit Minztinktur, Kaffee-Ersatz, Dosen und Tüten mit Zucker und Schokolade, Feldflasche und Besteck aus verzinntem Blech, Trinkbecher aus gestanztem Blech, Dosenöffner und Klappmesser-, aus Kleidung-kurze und lange Unterhosen, baumwollene Taschentücher, Flanellhemden, Hosenträger und Wickelgamaschen -, aus Reinigungs- und Pflegemitteln – Kleider-, Schuh- und Waffenbürsten, Dosen mit Fett und Schuhcreme, Ersatzknöpfe und -schuhbänder, ein Mäppchen mit Nähzeug und abgerundeter Schere -, aus Hygieneartikeln und einer kleinen Apotheke – Einzelpflaster und Watte, Waschlappen, Spiegel, Seife, Rasiermesser mit Lederriemen zum Schärfen, Rasierpinsel, Zahnbürste, Kamm – sowie aus persönlichen Habseligkeiten – Tabak und Zigarettenpapier, Streichhölzer und Feuerzeug, Taschenlampe, Erkennungsmarke aus Aluminium- und Neusilber-Plättchen als Armband, Feldgesangbuch und Soldbuch.
All das war schon nicht wenig für einen einzigen Tornister, hinderte aber keineswegs daran, hernach noch mit Gurten verzurrtes verschiedenes Zubehör auf ihm aufzutürmen. Ganz oben thronte schon mal – umgedreht, um dem Zusammenstoß mit dem Kopf vorzubeugen – der persönliche Essnapf auf einer zusammengerollten Decke, darunter wieder eine Zeltbahn, in die Zeltstangen, Pflöcke und Strippen gewickelt waren, hintendran war auf einem Topf, der seinerseits mit einem Riemen bis hinauf zum Essnapf befestigt war, ein kleines Bündel trockenen Holzes für die Suppe beim Rasten geklemmt, und auf den Seiten hingen ein paar Feldwerkzeuge in ihren Lederfutteralen – Hacke oder Drahtschere, Handbeil, Säge, Feldspaten, Kreuzhacke oder Hackspaten, je nach Wahl -, dazu noch ein Wassersack und eine Laterne in ihrem Reiseetui aus Segeltuch. Dieser ganze Aufbau kam schließlich mindestens auf ungefähr fünfunddreißig Kilo Gewicht, bei trockenem Wetter. Das heißt also, bevor es dann zu regnen begann.

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