Es ist der 7. Mai 1915. In Berlin sitzen wie üblich die Literaten im Café des Westens, diskutieren oder schreiben an ihren Werken – unter ihnen René Schickele, Max Brod und Leonhard Frank.
Am Nachbartisch sitzen Journalisten, die aufgeregt und laut über eine neue Kriegsmeldung diskutieren. Die Lusitania, ein englisches Passagierschiff, ist gerade von einem deutschen U-Boot versenkt worden. Einer der Journalisten, Felix Stössinger, ist darüber besonders begeistert. „Wir haben die Lusitania versenkt, mit 1198 Passagieren. Das ist die größte Heldentat der Menschheitsgeschichte.“
Leonhard Frank hört das, steht auf und schlägt Stössinger wortlos ins Gesicht. Er verlässt fluchtartig das Café und fährt noch in der Nacht in die Schweiz, um einer Verhaftung zu entgehen. Er bleibt dort und schreibt mehrere Novellen gegen den Krieg und veröffentlicht sie 1917 unter dem Titel „Der Mensch ist gut“. In Deutschland wird das Buch sofort verboten.
Leonhard Frank lässt 500 Exemplare des Buches zur Tarnung in die Einbanddecken des Schweizer Zivilgesetzbuches binden und schickt sie auf Schleichwegen nach Deutschland, wo es von Kriegsgegnern heimlich verbreitet wird. Die Sozialdemokraten drucken wenig später 500.000 Exemplare auf Zeitungspapier, um sie unter Frontsoldaten zu verteilen. Das Buch wurde ein europäisches Ereignis. Heute fragen wir uns: Wer war dieser „Widerstandskämpfer“ Leonhard Frank?
Leonhard Frank gehört zu der Generation von Literaten, die in ihrem Leben vom Kaiserreich an, über die Weimarer Republik, das Dritte Reich und Nachkriegszeit bis heute immer wieder gefeiert, verjagt, angefeindet und schließlich vergessen wurden. In seinem autobiografischen Roman „Links wo das Herz ist“ erfahren wir mehr über sein Schicksal. Hier hat er auch die Episode mit der Ohrfeige beschrieben.
Leonhard Frank, geboren 1881, war der Sohn eines armen Würzburger Schreinergesellen. Er erlernte das Schlosserhandwerk, arbeitete als Chauffeur und wollte Maler werden. Er trieb sich mittellos und hungernd in Berlin und in München herum. In Schwabing geriet er in die Künstlerszene und hatte fortan seine Heimat gefunden. Er fing an seine Jugenderlebnisse aufzuschreiben. 1914, noch vor Beginn des Krieges, erschien sein Roman „Die Räuberbande“ und machte ihn sofort bekannt. Noch im selben Jahr wurde er mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet.
Er erzählte von den Streichen und Abenteuern Würzburger Schüler und Lehrlinge, die sich von Schillers „Räubern“ und den Helden Karl Mays inspirieren ließen. Das Buch kam im richtigen Augenblick: Indem Frank zeigte, wie die Halbwüchsigen gegen ihre Lehrer und Arbeitgeber rebellierten, wurde er zum Sprecher einer ganzen Generation.
Als der Erste Weltkrieg begann, war Leonhard Frank einer der wenigen, die dem patriotischen Taumel widerstanden, ja sogar aktiven Widerstand leisteten. Er musste dafür zum ersten Mal Deutschland verlassen.
Marcel Reich-Ranicki hat 2008 in der FAZ den weiteren Werdegang von Leonhard Frank beschrieben.
Der Schriftsteller Leonhard Frank war während der Weimarer Republik sehr erfolgreich. Als er 1950 nach Deutschland zurückkehrte und sich in München niederließ – er war 1933 emigriert -, konnte sich in seiner Heimat kaum jemand an ihn erinnern.
Die Nationalsozialisten hätten sich mit Frank, der weder Jude noch Kommunist oder Sozialdemokrat war, gern geschmückt. Es kam für Leonhard Frank nicht in Frage: Schon im März 1933 war er in der Schweiz, später in den Vereinigten Staaten. 1950 war er wieder in Deutschland. Es erging ihm nicht besser als vielen emigrierten Schriftstellern: Die neue Generation wollte von seiner Prosa nichts mehr wissen. Als er 1961 starb, hielten die meisten bundesdeutschen Zeitungen einen Nachruf für überflüssig. Man begnügte sich mit knappen Meldungen.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/fragen-sie-reich-ranicki/fragen-sie-reich-ranicki-ist-der-schriftsteller-leonhard-frank-zu-unrecht-vergessen-1549639.html
Leonhard Frank gehörte zu den „Nestbeschmutzern“, die über die Nazi-Zeit und deren Verbrechen nicht schweigen wollten. Sie wollten nicht vergessen, dass zahlreiche NS-Täter problemlos in der Bundesrepublik Karriere machen konnten. Man nahm ihm auch übel, dass er die DDR besuchte und dass er sich in der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ engagierte. Seine Werke sind nach 1945 im Aufbau-Verlag in der DDR erschienen, in der jungen Bundesrepublik sind sie aber kaum verlegt oder gelesen worden. Wie man in den 1960er Jahren mit solchen Leuten wie Leonhard Frank umging, hat DIE ZEIT 1963 in einem Porträt der Stadt Würzburg ausführlich geschildert: Würzburg, dein Lied will ich singen, Garstiges Porträt einer schönen deutschen Stadt http://www.zeit.de/1963/08/wuerzburg-dein-lied-will-ich-singen/
Leonhard Frank gilt inzwischen als einer der bedeutendsten pazifistischen Erzähler in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. In diesem Jahr feiert Franks Geburtsstadt Würzburg ihren berühmten Schriftsteller. In über 100 Veranstaltungen wird seit April 2014 an ihn erinnert. John Düffel hat seinen Roman „Die Jünger Jesu“ in Szene gesetzt. Das Stück hatte im Mai in Würzburg Premiere.
Es gibt seit 1982 eine Leonhard-Frank-Gesellschaft, seit einigen Jahren wird der Leonhard-Frank-Preis verliehen und es gibt auch eine Leonhard-Frank-Grundschule.
„Würzburg liest ein Buch” war im April mit rund 100 Veranstaltungen ein kulturelles Großereignis in der Stadt. Alles drehte sich um Franks Roman „Die Jünger Jesu“. Es gab Lesungen im öffentlichen Raum, Kino, Theater, Ausstellungen und Vorträge – alle Würzburger sollten von seinem Buch in den Bann gezogen werden. Der vergessene Sohn scheint damit endlich in seiner Heimatstadt angekommen zu sein.
http://youtu.be/oZjOJMW2WBc
Die vollständigen Texte, die unter dem Titel „Der Mensch ist gut“ erschienen sind, findet man hier zum Lesen unter http://win2014.de/?page_id=1307
Es sind dies die fünf Novellen Der Vater, Die Kriegswitwe, Die Mutter, Das Liebespaar und Die Kriegskrüppel.