Muttchen, Herzchen oder liebe Frau?

Für die meisten Männer war es ein herber Einschnitt in ihr bisheriges Leben, wenn sie plötzlich ihren Einstellungsbefehl bekamen und an die Front mussten. Alles war plötzlich anders, neu und ungewiss. So mancher Soldat hatte ein zusätzliches Problem: Die Lieben zu Hause erwarteten, dass man ihnen einen Brief oder zumindest eine Feldpostkarte schickte. Bin gut angekommen. Mir geht es gut. Aber wie soll man eine Postkarte schreiben, wenn man so etwas noch nie vorher gemacht hatte? Für viele war es das erste Mal, dass man der eigenen Frau etwas nicht direkt sagen konnte, sondern es auf einer räumlich begrenzten Postkarte formulieren musste.
Einfach war es ja noch die Adresse zu schreiben. Da gab es kein langes Grübeln und Überlegen. Name, Straße, Stadt – das war festgelegt und da war die halbe Karte auch schon voll.

Feldpost
Marie Petersen
Glücksburg
Schausender Weg Villa Frieda
bei Flensburg
 

Aber dann… Wie sollte man die eigene Frau anreden? Liebe Marie? Obwohl man zu Hause doch schon längst Muttchen sagte, seit die Kinder auf der Welt waren? Meine Liebste? Nein, die Zeiten waren auch schon längst vorbei.
Wie rede ich also die eigene Frau an? Vor dieser heiklen Entscheidung standen zumindest die verheirateten Soldaten. Die ledigen Soldaten hatten es da einfacher. Sie schrieben ja an das Fräulein, das sie vielleicht gerade in einem Restaurant oder im Zug kennen gelernt hatten, und das Fräulein hieß dann eben liebe Käthe, liebe Else oder liebe Friederike. Die besonders Mutigen schrieben dann auch schon mal Mein lieber Schatz oder suchten andere passende Annäherungsformeln. Liebes Cousinchen … Dein Cousin! – das war die Gelegenheit, aus der Ferne der süßen Cousine Ella zu sagen, wie süß man sie fand.
Es wurde also feste geschrieben – vom ersten Tag des Krieges im August 1914 an bis zum bitteren Ende. Die Statistik dazu ist schon beeindruckend. Die rund 8.000 bei der Feldpost beschäftigten Beamten und Soldaten bewältigten während des ganzen Krieges etwa 28,7 Milliarden Sendungen aller Art zwischen Front und Heimat. Aus der Heimat in Richtung Front wurde übrigens häufiger geschrieben als umgekehrt. Täglich waren – statistisch gesehen – fast zehn Millionen Sendungen an die Front unterwegs. In umgekehrter Richtung waren es ca. 6,8 Millionen Sendungen täglich.
Besonders in der Anfangsphase des Bewegungskrieges stieß die Beförderung der Feldpost auf große Schwierigkeiten. Bereits im ersten Monat des Krieges wurde eine Postsperre verhängt, die den Brief- und Telegrammverkehr zwischen Front und Heimat unterband. Sie war die erste von insgesamt 600 Postsperren während des Krieges. Diese Sperren konnten wenige Tage und bis zu sieben Wochen dauern. Betroffen waren einzelne Armeebezirke oder – wie zu Beginn der letzten deutschen Offensive ab März 1918 – die gesamte Westfront.
Quelle: http://www.erster-weltkrieg.clio-online.de/_Rainbow/documents/Augenzeugen/ulrich2.pdf

glücksburg_0001Hinrich Petersen aus Glücksburg hat mehrere Postkarten an seine Frau geschrieben. Auf der Vorderseite stehen neben den kitschigen Fotos ergänzende Liebesverse. Ob er sie bewusst für seine Frau ausgesucht hat, ist fraglich, aber warum nicht.

Sie liebt mich noch, sie ist mir gut,
Drum bin ich froh und wohlgemut, –
Mein Herz schlägt warm in kalter Nacht,
Wenn es ans ferne Lieb gedacht.

Oder Behalte immer frohen Mut Und bleibe mir im Herzen gut!

Auf der Rückseite schreibt er kurze knappe Grüße. Originell sind dabei die unterschiedlichen Anredeversuche. Am 26. März 1916 schreibt er aus Schleswig: Liebe Mamma! und man denkt zunächst, dass er seine Mutter anredet. Aber nein, es ist seine Frau Marie.

glücksburg_0002

Schleswig, 26.3.1916.
Liebe Mamma!
Recht viele herzliche Grüße und Küße aus der Ferne an Dich mein Herzchen u. lieben Kinder von Deinem Hinrich.
Auf baldiges Wiedersehn
 

Dann wird er verwundet und schreibt ein halbes Jahr später aus einem Lazarett in Ludwigsburg. Jedes Mal wechselt er die Anrede. Liebes Herzchen am 7.10.16, Liebe Frau am 9.10., am 12.10.16 Liebe Minni u. Kinder und am 16.10. Liebes Muttchen! Der Gruß ist routinemäßig recht schön oder recht herzlich, verbunden mit einem Kuß an Dich sowie die Kinder. Zum Schluss hofft er jeweils Auf ein baldiges Wiedersehn!

glücksburg_0006 glücksburg_0005 glücksburg_0004 glücksburg_0003Kriegers Abschied.
Doch träfe eine Kugel mich,
Sterb‘ auf dem Feld der Ehre ich,
Dann soll, du trautes Liebchen mein,
Mein letztes Wort dein Name sein!
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