Wer darf den Krieg fotografieren?

Man findet ja immer noch auf Flohmärkten Amateurfotos im Postkartenformat aus dem Ersten Weltkrieg, und in den meisten Familien gibt es noch im Keller oder auf dem Dachboden diese kleinen Kästchen mit Fotos von Opa, Uropa oder Uronkel im Ersten Weltkrieg. Wenn es noch so viele Bilder gibt – konnte da jeder Soldat, der eine Kamera hatte, an der Front fotografieren, was er wollte? Ganz so einfach war es nicht.

Schon zu Beginn des Krieges wurde in einer „Anweisung für Kriegsphotographen und Kinematographen“ (Generalstab, 28. 12. 1914. III. C. 3094. Pr.) genau festgelegt, wer was wo wie fotografieren darf. Das hört sich dann z.B. so an:

Jede Gelegenheit ist zu benutzen, um zu beweisen, daß die deutsche Kriegsführung alle unnötigen Härten vermeidet. In feindlichen Ortschaften sind die wichtigsten Baudenkmäler so zu photographieren, daß ihre Unversehrtheit nachgewiesen werden kann. Stets einige deutsche Soldaten mitphotographieren. Feindliche Verwüstungen und Grausamkeiten sind durch Bilder zu beweisen.

Erstmals wurden damit die Kriegsbilder von staatlichen Stellen kontrolliert. Die Anzahl der Fotografen wurde begrenzt, es gab aber auch direkte Zensur. Fotografen brauchten einen besonderen Ausweis und mussten an der Front eine Armbinde tragen. Sie verpflichteten sich außerdem, ihre Bilder den Zensurbehörden vorzulegen, die das Material dann kostenlos an die Presse weiterreichte.

Der Fotohistoriker Anton Holzer hat nachgewiesen, dass die meisten Kampfbilder aus dem Ersten Weltkrieg gestellt sind. Erst in den letzten Jahren steige das Bewusstsein – so Holzer – , dass es die authentischen Kriegsbilder gar nicht gebe. (Anton Holzer, Die andere Front, Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg, Primus-Verlag, 2012)

Die Fotografen nahmen diese Bilder meist bei Übungen im Hinterland auf. Nachgestellt wurden gerne siegreiche Szenen der eigenen Truppen. Ein besonders skurriles Beispiel ist das Foto „Ein plötzlicher Angriff“.

fahrraus: Deutschland, Zeitschrift für Heimatkunde und Heimatliebe, April 1915

fotografaus: Illustriertes Jahrbuch, Kalender für das Jahr 1918

Auch dieser sogenannte Kriegsfotograph hat sich für ein gestelltes Foto in den Schützengraben gestellt. Aber dann gab es ja noch den einfachen Soldaten, der seinen eigenen Fotoapparat im Tornister hatte. Er wollte und konnte kein Schlachtgetümmel einfangen, sondern eher Erinnerungsfotos von der Front machen, so wie man heute noch aus dem Urlaub Fotos schickt mit der Bemerkung: Guck mal, hier war ich!

klappkamera

Heute ganz schnell mit dem Smartphone, damals mit einer Klappkamera. Man brauchte dafür technisches Knowhow, und die Filme mussten ja auch noch in der Dunkelkammer vergrößert werden. Es war damals sicher ein aufregendes und kostspieliges Abenteuer zu fotografieren, aber man konnte nebenbei mit den Fotos Eindruck schinden bei den Verwandten.

Da ist z.B. ein gewisser W. Müller, der an seine Verwandten ein Foto aus Belgien schickt. Die Weihnachtsgrüße sind recht kurz. Danach schreibt er ausführlich, wie das Foto entstanden ist und was vielleicht hätte besser sein können.

ell_0003Comblain la Tour, 7. Dezember 1914

Lieber Heinrich & l. Sophie!
Auf einsamer Wacht,
Im Belgierland. Gedenke Eurer
Und sende herzliche Grüße
W. Müller
Zum Andenken an die Zeit meines Hierseins sende ich Euch das umstehende Bild. Direkt am Fuße des Felsens geht die Eisenbahnstrecke, welche wir sichern müssen, vorbei. Es ist schade, daß der Bahnkörper auf dem Bilde nicht zu sehen ist. Der Apparat war eben zu klein und das Bild selbst sollte doch möglichst deutlich werden.
Mir geht es noch immer recht gut. Herzliche Grüße an Euch alle
W. Müller
 

Ein zweites Foto schickt er ein Jahr später wieder zu Weihnachten an seine Schwägerin. Es soll dokumentieren, wie gut es ihm an der Front geht. Ein Foto ist da allemal beweiskräftiger als das geschriebene Wort. W. Müller bedauert zum Schluss, dass man auf dem Foto nicht erkennen kann, dass er zum Unteroffizier befördert worden ist. Auf jeden Fall schaut er schon sehr stolz und zufrieden in die Kamera.

ell_0001

Gouvy, den 15.12.1915
Liebe Schwägerin!
Habe soeben Dein Weihnachtspaketchen erhalten und mich sehr darüber gefreut, zumal die Sendung ganz unerwartet kam. Heute kann ich dir mal eine Aufnahme von unserer guten Stube senden, Du kannst also sehen, daß wir hier großartig eingerichtet sind. Rechts auf dem Bild steht der Ofen und zugleich auch Kochherd, den wir bei der jetzigen Jahreszeit nicht entbehren können.
Hier hat sich der Winter schon zum zweitenmal eingestellt, hatten schon eine Kälte von 14 Grad R. Wie das Bild zeigt, haben wir, nach Beendigung des Dienstes und bei langen Winterabenden noch ein Stündchen zum Kartenspiel übrig. Eine kleine Abwechslung muß der Mensch nun einmal haben. Ferner kann ich Dir noch mitteilen, daß ich seit einigen Tagen zum Unteroffizier befördert bin. Es ist nur schade, daß diese Aufnahme bereits einige Tage vor der Beförderung erfolgt ist, aber auch so ist es ein schönes Andenken.
Herzliche Grüße an Euch alle
Dein Schwager W. Müller
 
op
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