Krieg im Garten

Rasen war gestern. Mit diesem Satz stellt Christa Müller auf ihrem Blog das Urban Gardening vor – die Rückkehr der Gärten in die Stadt. http://www.urban-gardening.eu/category/blog/

Immer mehr Museen und Theater in Deutschland – so schreibt sie – entdecken das urbane Gärtnern. Als Beispiele nennt sie das Theater Freiburg, das Gartendeck in Hamburg, das oder das Schauspiel Köln. Aber auch andere Freiflächen werden von den Aktivisten erobert. Urban Gardening ist weltweit im Vormarsch (www.anstiftung-ertomis.de). Aber gab es das alles nicht schon in ähnlicher Form vor 100 Jahren?

Kriegsgärten – so hieß die offizielle Bezeichnung für die Umwidmung öffentlicher Flächen in Gartenland. Im englischsprachigen Raum bildete sich für diese Form des Gartenbaus der Begriff Victory Garden. INF3-96_Food_Production_Dig_for_Victory_Artist_Peter_FraserStatt Rasen waren jetzt Kartoffeln angesagt. In den USA, in Kanada, Großbritannien und in Deutschland wurden sämtliche verfügbaren Flächen in den Städten zur Versorgung mit Lebensmitteln genutzt. Dazu gehörten sowohl Sportflächen, als auch städtische Parks und vorher ungenutzte Wiesen.

Im Ruhrgebiet entstanden während des Krieges viele Kleingartenanlagen. Der Kruppsche Gartenbauverein ließ z.B. 1916 Ackerland mit Kartoffeln bepflanzen und an die Vereinsmitglieder ohne Garten ausgeben. Zusätzliche Käufe von Gemüse und Obst schafften die Voraussetzung, die Werksküchen, Krankenhäuser und Kinderheime zu beliefern. http://www.kleingaerten-essen.de/c_anfaenge.htm

In Wien begann man schon im Frühjahr 1915 zu gärtnern. Parks und andere freie Flächen wurden mit Gemüse und Frühkartoffeln bebaut. Schulkinder mussten mithelfen, jeden brachliegenden Platz zu bepflanzen. Jahr um Jahr kamen neue Anbauflächen dazu. Ende 1918 umfassten die städtischen Kriegsgemüsegärten eine Fläche von 2,8 Millionen Quadratmetern. 1918 wurden davon mehr als 11.000 Waggons Gemüse und Kartoffeln geerntet, um den schlimmsten Hunger zu stillen. https://erster-weltkrieg.wien.gv.at/site/kriegsgaerten/

Auf einer Kriegspostkarte sieht das alles sehr friedlich und idyllisch aus. Das nächste Ersatzbataillon fährt gerade mit frischen Soldaten an die Front, und die fleißigen Hobbygärtner winken den Todgeweihten liebevoll zu. Der kleine Junge vorne im Bild trägt einen Helm und möchte am liebsten mit. Seltsamerweise wachsen in diesem Garten nicht nur die verordneten Kartoffeln, sondern auch Rosen und Sonnenblumen. 

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Gottseidank gab es ja auch noch die guten alten Gärtner, die sich nicht in ihrer Meinung beirren ließen, dass zum Leben in der Not – oder gerade in der Not – auch schöne Blumen gehören. Zu ihnen gehörte einer der bedeutendsten Staudenzüchter des 20. Jahrhunderts. Die Rede ist von Karl Foerster (1874 – 1970), dem wir u.a. die heutigen Rittersporn- und Phlox-Sorten zu verdanken haben. Außerdem hat er zahlreiche Gartenbücher geschrieben.

Als der erste Weltkrieg ausbrach, war Karl Foerster schon 40 Jahre alt. Er musste trotzdem Kriegsdienst leisten. Aber wegen seines chronischen Rückenleidens und wegen Schwerhörigkeit wurde er nur zum Ersatzdienst eingeteilt. Man weiß nicht, was ihn dazu bewegt hat, aber 1916 begann er ein Gartenbuch für Verwundete und Gefangene zu schreiben. Im Februar 1917 erschien sein Buch „Vom Blütengarten der Zukunft“. 25.000 Exemplare wurden gedruckt und an Verwundete und Soldaten in Gefangenenlagern versandt. Für die Soldaten im Schützengraben war das kaum ein praktisches Gartenbuch. Es sollte wohl eher den Traum von einer besseren Zukunft nähren. Allerdings ist man als heutiger Leser leicht irritiert über die Wortwahl und Motive Karl Foersters, dieses Buch zu schreiben.

Die Menschfoe_0002en in den Lazaretten und Gefangenenlagern, denen dieses Buch zugeeignet ist, werden nicht lächeln über seinen allzu friedlichen, allzu beschaulichen Inhalt, sondern sie werden daran denken, dass sie nach der Rückkehr aus diesem letzten europäischen Kriege die feierliche Tiefe und seelische Nährkraft stiller weltweiter Freuden andächtiger erleben werden, als es jemals auf Erden geschehen ist. …
Die Erdenzukunft einer innerlich siegreicheren Menschheit, deren friedliches Heldentum, deren „Zivilkurage“ ihrem heutigen militärischen Heroismus ebenbürtig geworden sein wird und seine unvergänglichen Inspirationen in sich aufnahm, wird ein Paradies der Naturbemeisterung und der Naturhingabe werden.
Die Entwicklung der Blütenwelt dieses Gartens Eden ist in neuer Zeit Gegenstand einer immer wachsenden Arbeit geworden, deren Erfolge eine mächtige Verheißung in sich tragen, dass es bei dieser äußeren Ausschmückung allein nicht bleiben wird.
Bornheim bei Potsdam, Frühjahr 1917                                                    KARL FOERSTER
 

Im Rückblick kann man sagen: Der deutsche Garten hat im ersten Weltkrieg viel durchgemacht und musste für vieles herhalten. In einem besonderen Fall wurde er sogar ziemlich heftig missbraucht. Allerdings war das schon ein paar Tage nach Kriegsende. Da schrieb ein gewisser Hans von Reinken das Gedicht „Mein deutscher Garten“. Mit dem Garten ist natürlich Deutschland gemeint, das im Krieg – um es gartentechnisch auszudrücken – geschreddert und gehäckselt wurde. Vorgetragen wurde das Gedicht an Kaisers Geburtstag am 27. Januar 1919 im Curiohaus in Hamburg. Zuhörer war die Versammlung der deutschnationalen Partei.

foe_0001Mein deutscher  Garten

Wohl war ein schöner Garten mein
mit Blumen aller Arten fein,
Der freute mein Gemüte.
Mit meiner Liebsten Hand in Hand,
Ging ich durch dieses traute Land
In Glanz und Duft der Blüte
Kaiserkronen und Königskerzen,
Rittersporn und flammende Herzen,
Und das stolz bescheidne Reis
Ehrenpreis.
 
 
O weh, ein Wetterwüten macht,
Daß jäh verging der Blüten Pracht,
Und Duft und Farben schwanden.
Ihr prangtet wohl zu hochgemut,
Daß Jhr’s so bitter büßen tut.
Eu’r Stolz ward gar zu Schanden:
Gestürzt die Kronen, verlöscht die Kerzen,
Der Sporn zerbrochen, erstarrt die Herzen,
Verweht im Wirbel, wohin, wer weiß?
Ehrenpreis.
 
O Deutschland, lieber Garten mein,
Welch Unheil will noch warten Dein
Wohin, wohin soll’s treiben?
Wir seufzen unter schwerem Joch
In Zwang und Schmach! – Und doch‘ und doch,
Ein‘ Hoffnung soll uns bleiben –
Leuchtet‘s nicht mehr von Kronen und Kerzen,
Die Sehnsucht glüht in tausend Herzen
Und heischt in Glauben, Zucht und Fleiß,
Deutschland, Deiner alten Ehren Preis!
 
Hans von Reinken.
 
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