In Münster gibt es wie in vielen anderen deutschen Städten eine Kommission „Straßennamen“, die der Frage nachgeht, ob Straßen umbenannt werden sollen. In letzter Zeit gab es immer wieder hitzige Debatten um den Namen Hindenburg, aber meistens geht es um Personen mit Nazi-Vergangenheit.
So war es auch in Münster. Eine kleine Straße heißt dort Castelleweg, benannt nach einem gewissen Friedrich Castelle. Die Kommission in Münster hatte am 15. Juni 2011 empfohlen, den Weg umzubenennen. Die Bezirksvertretung fasste in ihrer Sitzung am 23. August 2012 aber den Beschluss, dass der Castelleweg nicht umbenannt wird.
Man könnte ja meinen, dieser Castelle sei tatsächlich nur eine lokale Größe in der Nazizeit gewesen, die nicht viel bewegt hat. Aber wir müssen unsere Meinung revidieren, wenn wir lesen, wie und was Friedrich Castelle schon 1915 geschrieben hat. Hier entpuppt er sich als ein hochrangiger Vorläufer der Nazis. Da ahnen wir, wie spätestens seit Beginn des ersten Weltkriegs das Gedankengut der Nazis sich durch solche Männer wie Friedrich Castelle ausbreitete und die Menschen davon infiziert wurden. Wer war denn nun eigentlich dieser Castelle? Und was hat er mit dem Deutschen Frühling 1915 zu tun?
Friedrich Castelle (1879 – 1954) ist am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten und war bis 1945 als Journalist und Publizist und als Intendant des Reichssenders Köln ein glühender Nationalsozialist. Nach dem Krieg wurde er von den Engländern zunächst interniert. Doch bereits 1947 wurde er wie viele andere Nazigrößen rehabilitiert. Ehemalige Weggefährten bürgten für ihn, er selbst spielte seine Rolle herunter. Er habe größeres Unheil verhindern wollen. Für die Zeit von 1937 bis 1942 sei er stets nur künstlerischer Programmdirektor gewesen und habe „stets neutral und objektiv, also völlig unparteiisch gearbeitet“. http://www.muenster.de/stadt/strassennamen/castelleweg.html#nach1945
Friedrich Castelle war von 1912 bis 1915 Herausgeber der Zeitschrift „Deutschland“. Sie erschien monatlich und nannte sich Zeitschrift für Heimatkunde und Heimatliebe. Ursprünglich war sie wohl eine Blatt, das für den Tourismus in Deutschland werben sollte. Im Untertitel steht weiter: Amtliche Zeitschrift des Bundes Deutscher Verkehrs-Vereine. Mitbegründet durch den Internationalen Hotelbesitzer Verein e. V., Köln. Heute würde man sie als Hochglanz-Magazin einordnen – allerfeinstes Jugendstil-Layout, Fotos in bester Qualität und alles auf Papier in Friedensqualität.
Mit Beginn des Krieges verwandelte sich die Zeitschrift unter Leitung von Friedrich Castelle von einem Heimatblatt zu einer Hetzschrift gegen Deutschlands Feinde. Er selber schrieb in jedem Monat den Leitartikel und übertraf mit seinem Pathos, mit seiner giftigen Beschönigung aller Realitäten fast noch die offiziellen Verlautbarungen aus Berlin. Krieg sei mein Lied!, so beginnt sein Leitartikel im Januar 1915. In der April-Ausgabe könnte man fast meinen, dass dieser Artikel nicht 1915, sondern 30 Jahre später von Joseph Goebbels geschrieben wurde, um den Endsieg zu beschwören.
Fraglich ist, ob die Bezirksvertretung in Münster diese Texte kannte, als sie 2012 den Beschluss fasste, den Castelleweg nicht umzubenennen.
Deutscher Frühling
Von Dr. Friedrich Castelle.
1. April-Ausgabe 1915
Aus tiefen Winters schwerer Not erwacht und wächst die geliebte Heimaterde aufs neue dem hoffnungsfrohen Frühling entgegen. Deutschland ist – wie kein anderes auf der Welt – das Land des lichten Lenzes und des goldenen Herbstes, die Wiege stiller Lebenserwartungen und rauschender Daseinserfüllungen, ist – wie das deutsche Gemüt – ein unerschöpflicher Bronnen von Verheißungen und Segnungen.
Nie hat das deutsche Volk, das deutsche Herz die Schönheiten des ganzen weiten Heimatlandes treuer und inbrünstiger empfangen und erlebt als in den schweren Monaten, die hinter uns liegen. Als die endlosen Soldatenzüge hinausrollten nach Ost und West in feindliche Lande, da prangten alle Gaue in der reichsten Sommerfülle. Da reifte eine Ernte zur Vollendung wie seit Jahren nicht mehr. Es war, als sollte jeder unserer Brüder die tröstliche Zuversicht mitnehmen, daß daheim keiner darben und bangen würde um des Lebens Notdurft. Und jeder von uns griff zu mit raschen, ungelenken Händen, wo eine Garbe ungeborgen zu bleiben drohte, denn auch das letzte Körnchen mußte aufgespeichert werden für den schweren, harten Winter.
Und er kam. Und ist heute überstanden mit all seinen Sorgen und Nöten. Ist überstanden wie ein flüchtiger, schwerer Traum. Wir haben ihn nicht gefühlt, weil sich das ganze deutsche Volk in demütiger, entschlossener Einmütigkeit durch ihn hindurchgerettet hat. Wir haben ihn vergessen über die gewaltig erschütternden Erlebnisse, die wir allesamt in uns tragen. Zwar können wir daheim die ganze heldenhafte Größe noch nicht erfassen und durchschauen, mit der Millionen deutscher Brüder ihn draußen im Schlamm der von Granaten aufgepflügten Schützengräben und im Schnee der von feindlichen Kugeln durchsungenen Gebirgswälder überstanden haben, können uns noch kein klares Bild malen von dem unermüdlichen Ringen um jeden Fußbreit feindlichen Bodens, das Tag für Tag die entsetzliche Kriegsgefahr weiter abwendete von den deutschen Landen. Aber mitdurchlebt und mitdurchlitten haben wir alle insgesamt diesen grausigen Winter, mitdurchlebt an der Seite der Hüter unserer heiligsten Volksgüter, mitdurchlitten zu den Füßen jedes einzelnen, der sein Blut hingeben mußte für des Vaterlandes Freiheit und Errettung.
Und endlich, endlich ist nun der Frühling gekommen. An jedem Wiesenhang und Heckenstrauch keimen und knospen junge Blüten und schlanke Schößlinge. Die ganze deutsche Erde ist lichtgrün überschleiert vom ersten Hauch der üppig wachsenden Wintersaat. Und hell und wolkenlos blaut der reine deutsche Frühlingshimmel über unsern Häuptern. Alles, alles um uns und in uns ist frohe, zuversichtliche Verheißung auf die große Zukunft, die wir erringen müssen in heißem Widerstreit mit grimmig gewappneten Gegnern. Diese Zukunft aber heißt: Neubegründung deutscher Macht und deutschen Ansehens vor der ganzen Welt. Man will uns austilgen von dieser Erde, weil wir stark und gerecht sind. Man will uns vernichten, weil in uns die Kraft eines neuen Weltreiches wurzelt. Aber man wird uns nicht vernichten und austilgen, denn unser Wesen ist gesund und jung. Und wo es angekränkelt war von Überreife, da hat der strenge Winterfrost des Krieges die kranken Keime zerstört.
Die deutsche Erde ist wieder empfänglich für die neue Frühlingssaat. Das deutsche Volk steht einmütig und geschlossen vor der ganzen Welt – eine eiserne Wehr unerbittlicher Gerechtigkeit und unbeugsamer Größe. Denn in seinem Herzen lebt wie ein heiliger Schwur das Gelöbnis, das der Kaiser für uns alle abgelegt hat an dem großen ersten April dieses Jahres bei der Jahrhundertfeier für den eisernen Kanzler, der durch seine überragende Persönlichkeit als die Verkörperung deutschen Geistes und deutschen Willens trutzig dasteht vor aller Welt – das Gelöbnis, das wir mit hinübernehmen als kaiserliche Mahnung in die neue Zeit: „Jedes Opfer für das Vaterland! Der Geist der Eintracht aber, der unser Volk daheim und auf den Kriegsschauplätzen über alles Trennende sieghaft erhoben hat, er wird den Waffenlärm überdauern und nach glücklich erkämpftem Frieden auch die Entwicklung des Reiches im Inneren segensreich befruchten und fördern. Dann wird uns als Siegespreis ein Leben erblühen, in dem sich deutsches Volkstum frei und stark entfalten kann!“