Wie haben sich die Soldaten im Krieg ernährt? Ein Sammelbild der Firma Liebig’s Fleisch-Extrakt klärt uns darüber auf. In einer Feldbäckerei werden die Brote wie in einem Backhaus auf dem Bauernhof in den Ofen geschoben und nach kurzer Zeit knusprig und herrlich frisch duftend wieder herausgeholt. Alles unter Aufsicht eines Offiziers. Anschließend werden die Brote an die Front gefahren, um die kämpfende Truppe satt zu machen. So sieht es jedenfalls aus. Ganz so ist es aber nicht gewesen.
Das Liebig-Bild stammt zwar aus dem Jahre 1913 und gehört zur Serie Nr. 890 „Verpflegung der Truppen im Kriege“. Aber es zeigt eher eine Kinderbuchvariante der Truppenversorgung. Ein knappes Jahr vor Ausbruch des Krieges konnte man sich nicht vorstellen, wie furchtbar und grausam die Wirklichkeit aussehen würde – auch bei den Grundbedürfnissen des Menschen Essen und Trinken.
Schon in den ersten Kriegswochen waren alle Pläne über den Haufen geworfen. Die tägliche Ration eines deutschen Soldaten war zwar durch Verordnung grammgenau festgelegt, aber wenn über mehrere Tage marschiert oder gekämpft wurde, kam die Verpflegungstruppe nicht schnell genug hinterher oder wurde selbst aufgerieben. Spätestens ab etwa Ende 1915 existierten die vorgeschriebenen Mengen nur noch auf dem Papier.
750 g Brot 375 g frisches Fleisch oder 200 g Dosenfleisch 1.500 g Kartoffeln oder bis 250 g Gemüse 25 g Kaffee oder 3 g Tee 20 g Zucker; 25 g Salz 2 Zigarren und 2 ZigarettenAber es gab ja noch das Prinzip der Selbstversorgung. Im weitesten Sinne verstand man im Krieg darunter: Häuser und Geschäfte der Feinde plündern, Beute machen, herrenlose Rinder, Schweine oder Gänse schlachten.
Das war nicht immer einfach, aber es sorgte für Abwechslung und gute Stimmung, die man in Briefen an die Lieben zu Hause schilderte oder im Tagebuch festhielt. So schreibt der Seewehrmann Paul Lotz am 8. September 1914 in sein Tagebuch:
Unsere zwei Köche, die uns über die paar Tage jeden Mittag warmes Essen in einem Waschkessel in der Küche des Geschäfts gekocht hatten, wollten es sich auch heute nicht nehmen lassen, uns etwas Warmes zu besorgen, hatten sie doch tags zuvor auch ein Kälbchen geschlachtet, das herrenlos herumlief. Die Fleischteile hingen an der Vorderfront des Hauses und konnten, ohne vom Feind beobachtet zu werden, nicht in die Küche geholt werden. So richteten die guten Kerle einstweilen das Wasser, Feuer, Kartoffel usw. und paßten auf einen günstigen Moment, das Fleisch ins Haus zu holen. Aber es kam anders! Der Feind hatte den Rauch am Kamin beobachtet und vermutete unsere Feldwache im Haus. Wenige Minuten später schlug auch schon eine Granate neben dem Haus ein, was die Köche veranlaßte, schleunigst das Haus zu verlassen und zu uns in den Graben zu springen. Letzteres wurde vom Feind auch beobachtet und die Stellung unseres Grabens war verraten. Die beiden nächsten Granaten trafen das Haus, wovon die eine in der Küche krepierte und unsere ganze Kocheinrichtung zerstörte, die andere traf den Stall und riß das geschlachtete Kälbchen in Fetzen.Wenn alles nicht half, gab es ja dann noch die Liebesgaben aus der Heimat. So manche Postkarte begann mit dem Satz: „Ihr Lieben! Habe soeben euer Päckchen erhalten und mich sehr darüber gefreut.“
Neben der Kriegsportion, die durch die Proviantkolonnen transportiert und bereitgestellt wurden, trug jeder Soldat eine „Eiserne Portion“ im Tornister. Diese Notverpflegung war auf zwei Tage angelegt und umfasste kleine Mengen an Eierzwieback, Salz und Kaffee sowie Gemüse und Fleischkonserven. Angebrochen werden durfte sie nur auf besonderen Befehl des Einheitsführers. http://www.agw14-18.de/formgesch/formatio_rek.html
Und hier kommt wieder Liebig’s Fleisch-Extrakt ins Spiel. Justus von Liebig war ja Chemiker, aber auch ein Tausendsassa im Erfinden von neuen Lebensmitteln. Er hatte seit den 1840er Jahren einen konzentrierten Fleischtrank entwickelt. 1853 gab er ihn als stärkende Krankenkost der an Typhus erkrankten Tochter eines Bekannten, die keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen konnte. Nach einigen Tagen erholte sich das Mädchen durch den Fleischtrank und Liebig veröffentlichte das Rezept in den Annalen der Chemie unter dem Titel „Eine neue Fleischbrühe für Kranke“. http://de.m.wikipedia.org/wiki/Fleischextrakt
Der Unternehmer Gilbert, der diesen Artikel gelesen hatte, bot Liebig 1862 eine Zusammenarbeit in Uruguay an. Dort wurde nun Liebig-Fleischextrakt in riesigen Mengen erzeugt und weltweit verkauft. Zu der Zeit gab es in Südamerika einen großen Überschuss an Rindfleisch, da die Tiere vor allem wegen der Häute, Hörner und Knochen gehalten wurden. Liebig schaffte seine Maschinen nach Uruguay und gründete dort eine Fleischwarenfabrik. Das fertige Produkt wurde nach Europa verschifft und zu Spottpreisen angeboten. In weniger als 40 Jahren steigerte Liebig seine Fleischextrakt-Produktion um fast 900 Prozent.
Nach Liebigs Vorstellungen sollte der Fleischextrakt vor allem für die ärmere Bevölkerung da sein, erwies sich aber als viel zu teuer. Stattdessen wurde er als nährstoffreiche Zugabe bei der Truppenverpflegung in diversen Kriegen verwendet und war Teil der sogenannten eisernen Ration der deutschen und britischen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Justus von Liebig dürfte damit eines der ersten Fertig-, Fast Food Produkte der modernen Küchengeschichte erfunden haben.
Liebig war nicht der einzige, der an Tütensuppen bastelte. In Heilbronn experimentierte Carl Heinrich Knorr mit Mehlen aus Grünkern, Erbsen, Linsen, Bohnen, Sago und Tapioka. In der Schweiz brachte Julius Maggi 1886 die ersten Fertigsuppen auf den Markt. Die Kriegsküche wurde zu einem Katalysator für Fertigprodukte. http://www.deutschlandradio.de/archiv/dlr/sendungen/merkmal/244733/index.html
Gegen Ende des Krieges wurde Fleisch zur Mangelware. Selbst das Brot wurde mit Holzspänen versetzt, um es zu strecken. Alkohol dagegen erhielten die Soldaten reichlich, manchmal mehr als ihnen lieb war. Nach Ermessen des Vorgesetzten gab es normalerweise nur ein Glas Branntwein, Wein oder Bier am Tag. Wenn es aber auf ins Gefecht ging, bekamen die Soldaten von ihren Truppenführern reichlich Alkohol zur örtlichen Betäubung. Hören wir wieder, was Paul Lotz in Belgien dazu erlebt hat:
In der Nacht vom 26. auf 27. September 1914 lagen wir wieder im Schützenraben, als ich nachts 12 Uhr geweckt wurde, die ersten Briefe aus der Heimat (seitdem wir in Feindesland waren) waren angekommen. Ich war natürlich sehr erfreut. Aber das Licht zum Lesen fehlte. Kurz darauf kam unser Kurier und brachte für je drei Mann eine Flasche Wein! Was soll das bedeuten, fragten wir uns gegenseitig!? Henkersmahlzeit! sagte einer, ein anderer: „Paßt auf, jetzt geht’s los!“ usw. Mit Spannung erwartete ich den Tag, um die Briefe meiner Lieben lesen zu können und war auch kaum damit fertig, als der Befehl kam: „Fertigmachen zum Sturmangriff!“Noch einmal zurück zu Liebig und seinen Sammelbildern. Um 1890 setzte das systematische Sammeln der Bilder ein. In den folgenden 20 Jahren waren die Liebigbilder fast noch begehrter als ihr beworbenes Produkt. Es gab Kataloge, spezielle Zeitschriften und Händler. Seltene Motive erzielten Höchstpreise. In 1.138 Serien wurden jeweils auf sechs Bildern nahezu alle relevanten enzyklopädischen Bereiche dargestellt – von Antwerpen im Mittelalter (1905) bis zu chinesischen Kaiserpalästen (1912). Wurden bis 1914 jährlich 40 oder mehr Serien als Chromolithografien veröffentlicht, war das mit Beginn des Krieges vorbei. In den vier Kriegsjahren von 1914 bis 1918 wurden ganze 15 Serien herausgegeben. http://de.wikipedia.org/wiki/Liebigbild
Der Vollständigkeit halber sollen zum Schluss die sechs Bilder der Serie Nr. 890 „Verpflegung der Truppen im Kriege“ zeigen, welche romantischen Vorstellungen von einem bevorstehenden Krieg man 1913 noch hatte.
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