Kriegspredigten 1914/1915

August 1914. Die deutsche Bevölkerung scheint in einen kollektiven Rausch zu verfallen. Vor allem Hochschullehrer, Künstler, Schriftsteller, aber auch die Vertreter der beiden großen Kirchen teilen diese Kriegsbegeisterung. Bischöfe, Theologieprofessoren und Gemeindepfarrer – sie alle begrüßen fast ausnahmslos diesen Krieg, von dem sie sich eine „geistig-kulturelle Erneuerung des deutschen Volkes“ erhoffen.

hunz_0002Da ist z.B. der Hauptpastor an der St. Michaeliskirche in Hamburg:  August Wilhelm Hunzinger (geb. 1871, gest. 1920). Hurtig veröffentlicht er schon Ende 1914 sein erstes Buch mit Kriegspredigten, die er seit Kriegsbeginn Sonntag für Sonntag im Michel gehalten hat. Der zweite Band erscheint im April 1915. Da ist der erste Siegesdonner bereits verflogen und das Siegesgeläute der Kirchenglocken ist verstummt. Aber Hunzinger wittert immer noch die Chance für die Kirche, sich am Weltkrieg festzuklammern und die Menschen dadurch für sich zu gewinnen. Er schreibt im Vorwort:

Eine Sorge, die mich in meiner Arbeit niemals verlassen hat, war die Frage nach der Zukunft der Kirche… Als der Krieg ausbrach, erlebten wir das Wunder einer deutschen Völkerwanderung in die Kirche. In jenen denkwürdigen Tagen wurde, wie durch einen allerhöchsten Beschluß, das furchtbare Odium der Überflüssigkeit von der Kirche genommen. Die Stimme des Volkes vertraute ihr noch einmal den heiligsten Beruf an, den es gibt: die Größe der Zeit zu deuten und ihre Kräfte zu segnen.
 Hat die Kirche diesen Beruf erfüllt?
Hat sie die Probe bestanden?
Die Antwort wird erst nach dem Kriege fallen.
 

Immerhin ist Hunzinger hier zumindest vorsichtig und nachdenklich, was die Zukunft der Kirche angeht.  Aber er ist sicher, dass Deutschland diesen Krieg gewinnen wird und muss, wenn auch später als erwartet. Was macht ihn da so sicher?

Ganz einfach: Wer Gott zum Trotz hat, der wird siegen. Gott zum Trotz meint hier den Willen und die Kraft zum Widerstand (Sprüche Salomos, 3, 25.26). Mit dieser Erkenntnis endet Hunzingers 24. Kriegspredigt, gehalten am 1. Januar 1915.

hunz_0001Wer Gott zum Trotz hat, der wird siegen. Germania, laß dich bitten, laß dich beschwören, niemals, was auch kommen mag, von diesem Trotz zu lassen. So gehen wir ins Neue Jahr. Nach rückwärts rufen wir dankerfüllt: Bis hierher hat uns der Herr geholfen, nach vorwärts schicksalsfroh und hoffnungsstark: Der Herr ist unser Trotz. Das ist das einzige Schutz- und Trutzbündnis, das die Gewissheit des Sieges verbürgt. Amen.
 

Mit dem Herrn wird es also gelingen. Aber Hunzinger ist sich nicht ganz sicher, ob der Herr es allein schaffen wird. Und deswegen nennt er auch in seiner Predigt die wichtigsten Helfer des Herrn, die ihm zur Seite stehen – „unseren Kaiser“ und den „Vater Hindenburg“.

Noch nie hat ein Monarch in seiner Person und durch seine Persönlichkeit so vollkommen den Ruhm der Nation, ihre Kraft und ihren Geist, ihr Recht und ihre Taten verkörpert wie er. Er hat mehr gearbeitet als alle, mehr gelitten, mehr gewacht, mehr gebetet, mehr verantwortet, mehr geopfert, mehr geliebt.
Dank auch dem Vater Hindenburg, dem Russenschläger, der uns zu Neujahr wieder reiche Kriegsbeute beschert hat.
 

Hunzinger ist kein Einzelfall. Wie er haben in ganz Deutschland die Pastoren beider Kirchen Deutschland den Sieg gewünscht und mit ihren Kriegspredigten fast einen Dienst an der Waffe geleistet. Der Theologe Günter Brakelmann sagt dazu in einem Rundfunk-Feature:

Da werden die ersten Kriegspredigten gehalten, die alle den gleichen Inhalt haben:
„Deutschland ist an diesem Krieg unschuldig, es ist überfallen worden und Gott ist auf seiten dessen, dem Ungerechtigkeit geschieht. Und wir haben die Hoffnung, auch die Gewissheit, dass Gott auf unserer Seite sein wird…“
http://www.deutschlandfunk.de/erster-weltkrieg-patriotischer-aufruf-der-kirchen-zum-krieg.886.de.html?dram:article_id=278280
 

Wäre es nicht ein gutes Zeichen, wenn die evangelische Kirche sich spätestens in diesem Jahr des Themas „Kriegspredigten“ angenommen hätte, um etwas lange Überfälliges aufzuarbeiten. Krieg ist ein Thema für Historiker, Kriegspredigten aber sollten doch auch ein Thema der Kirche sein.

Auf der Internetseite der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) findet man vergeblich etwas zu diesem Thema. Ausgerechnet in einer Laienpredigt im Hamburger Michel kommt das Wort „Kriegspredigt“ vor.

„Und wären doch all die vermaledeiten Kriegspredigten nie gehalten worden“, sagt der Journalist Robert Leicht in seiner Predigt am 30.Januar 2005.
http://www.ekd.de/service/suche.php?q=kriegspredigten&Suche+starten.x=0&Suche+starten.y=0
 

Über den ehemaligen Hauptpastor Hunzinger findet man im Internet wenig, was über die reinen Fakten hinausgeht. Bei Wikipedia steht dann dieser Satz:

…wurde 1911 Hauptpastor an der St. Michaeliskirche in Hamburg. Hier erlebte er die Zeit des Ersten Weltkrieges und erwarb sich mit bildreichen plattdeutschen Predigten den Ruf eines guten Predigers.
http://de.wikipedia.org/wiki/August_Wilhelm_Hunzinger
 

Wenn man 7 Euro übrig hat, kann man im Internet eine Predigt von Hunzinger käuflich erwerben, die er am 16. August 1914 gehalten hat mit dem beziehungsreichen Titel: Jetzt oder nie! Zehn Tage später haben übrigens deutsche Truppen die belgische Stadt Leuwen verwüstet und dabei auch die Kathedrale zerstört.

www_1914_slevogt1_Leuwen

Max Slevogt, Die Kathedrale von Löwen, 1914, Aquarell, Bleistift auf Papier, Museum, Saarbrücken aus der Sammlung Kohl-Weigand

Nachtrag

Eine vollständige Predigt Hunzingers findet man unter http://www.denk-mal-gegen-krieg.de/assets/Texte/3-Geschichte/Hunzinger-Predigten.pdf

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