Frieden: 1916 im Angebot

„Angebot und Nachfrage sind zwei wichtige Begriffe der Marktwirtschaft. Dabei spielt der Preis des jeweiligen Produktes eine gravierende Rolle und beeinflusst das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage.“ Passen diese Definitionen vielleicht nicht auch auf das, was Kaiser Wilhelm sich kurz vor Weihnachten 1916 ausgedacht hatte?
Genau vor 100 Jahren, am 12. Dezember 1916, warf der Kaiser ein Friedensangebot auf den Markt. Die Nachfrage war allerdings nicht sonderlich groß. Keiner griff zu. Es dauerte noch rund zwei Jahre, dann war Deutschland richtig pleite und musste Insolvenz anmelden. Hätte man das nicht schon zwei Jahre eher haben können?

Das Friedensangebot von 1916 war ein lächerliches Täuschungs- und Kriegsmanöver. Die deutsche Regierung unter Kanzler Theobald von Bethmann Hollweg wollte damit u.a. die gedrückte Stimmung des eigenen Volkes aufhellen. Es war klar, dass die Alliierten das Angebot ablehnen würden. Somit sollte es wie schon zu Beginn des Krieges so aussehen, dass Deutschland selber friedliebend ist, die Gegner aber den Krieg fortsetzen wollen. Der Kaiser fühlte sich eigentlich schon als Sieger. Aber wenn die anderen nicht aufgeben wollen, dann…

Berlin, 12. Dezember.
Seine Majestät der Kaiser hat folgenden Armeebefehl erlassen:

Soldaten!
In dem Gefühl des Sieges, den Ihr durch Euere Tapferkeit errungen habt, haben Ich und die Herrscher der treu verbündeten Staaten dem Feinde ein Friedensangebot gemacht. Ob das damit verbundene Ziel erreicht wird, bleibt dahingestellt. Ihr habt weiterhin mit Gottes Hilfe dem Feinde standzuhalten und ihn zu schlagen.
Großes Hauptquartier, 12. Dezember 1916.
Wilhelm I. R.

Noch deutlicher wird Bethmann Hollweg am selben Tage vor dem Reichstag. Zunächst gibt er einen schwärmerischen Überblick über die Lage an den Fronten. Überall wird gesiegt und zurückgeschlagen: Rumänien kämpft jetzt mit uns. An der Somme eine großartige Offensive, italienische Anstürme werden lahmgelegt. Die Westfront steht, die ganze Westwalachei genommen, Heldentaten unserer Unterseeboote. (nach jedem Satz lebhaftes Bravo)

In tiefstem sittlichen und religiösen Pflichtgefühl gegen sein Volk und darüber hinaus gegen die Menschheit hält der Kaiser den Zeitpunkt für eine offizielle Friedensaktion für gekommen. Seine Majestät hat deshalb in vollem Einvernehmen und in Gemeinschaft mit seinen hohen Verbündeten den Entschluss gefasst, den feindlichen Mächten den Eintritt in Friedensverhandlungen vorzuschlagen. (Lebhaftes Bravo! – Bewegung.)

Frieden – das wünschten sich die Menschen tatsächlich schon lange. Schon lange war die anfängliche Kriegsbegeisterung verblasst bzw. verblichen, wenn sie überhaupt jemals bestanden hat. Jetzt im Winter 1916/17 kündigt sich der Steckrübenwinter an. Es gibt einen verregneten Herbst, die Kartoffelfäule vernichtet die Hälfte der Ernte. Der Winter wird extrem kalt, es gibt kaum noch Kohlen. Es werden Wärmehallen und Volksküchen eingerichtet, in denen Suppe an Not leidende Familien ausgeteilt wird.

In dieser düsteren Zeit liefert die Zeitschrift JUGEND ihren Abonnenten auch nur trübe und diffuse Andeutungen über den Zustand der Gesellschaft. Ursprünglich war sie 1896 angetreten, um „alles besprechen und illustrieren, was interessant ist, was die Geister bewegt; wir wollen Alles bringen, was schön, gut, charakteristisch, flott und – echt künstlerisch ist.“ Davon ist jetzt nicht mehr viel übrig. Wie soll man auch zeigen, was schön, gut und flott ist, wenn nichts, rein gar nichts mehr schön, flott und gut ist. Zudem hat die Zeitschrift JUGEND schon mit Ausbruch des ersten Weltkriegs mit gekonntem Patriotismus ihre Leser vergrault. Jetzt ist es ein Eiertanz zwischen Patriotismus und müdem Aufbäumen.

Schauen wir uns das Dezemberheft von 1916 etwas genauer an. Auf der Titelseite nehmen zwei Krieger ein kleines Mädchen an die Hand und geleiten es in grellem Gegenlicht– ja wohin?
Die nächsten ganzseitigen Illustrationen sind auch nicht erhellender. Maria oder wer auch immer sitzt in einer zerbombten Kirche und beschützt frierend beim Feuer einer einzigen Kerze ihr Kind.

Die Zeitschrift Jugend, Dezember 1916

Ist die Mutter Jesu nach Frankreich oder Belgien geflohen? Oder nach Russland? Oder gab es auch deutschem Boden zerstörte Kirchen? Vermutlich nicht. Ganz rätselhaft ist das nächste Bild. Es trägt den Titel „Vision“. Was hat sich der Zeichner Willibald Krain dabei gedacht?

Willibald Krain, Vision; Die Zeitschrift JUGEND, Dezember 1916, Heft 52

Wird hier ein Weihnachtsbaum mit der Kanone rüber zum Feind geschossen? Oder ist der Baum der Feind, der beschossen werden soll?

Vielleicht geben die „Weihnachtsgedanken“ auf der nächsten Seite Aufschluss darüber. Der Autor Max Jungnickel war als Soldat an der Front. So ganz gelingen wollen ihm aber keine erhellenden Gedanken.
Der Mond friert an meinem Gewehr.
Die Sterne möchten vor Kälte in meine Hosentasche kriechen.
Das klingt ein bisschen nach Dada, das gerade sich rund um die Welt ausbreitete. Aber das hat hier hat nichts mit der sarkastischen Kritik von Dada zu tun. Das hier ist die einfallslose, verzweifelte Hilflosigkeit eines Soldaten gegenüber der Wirklichkeit an der Front.

Blättert man im Heft weiter, kommt man schließlich zu den Werbeanzeigen, die endlich die wahre Wirklichkeit zeigen und Antworten haben auf die Fragen auch in schwerer Zeit: die wahre Liebe, sexuelle Aufklärung, das Glück des Weibes und der Nachkommenschaft. Hundert Jahre später gibt es das alles auch noch. Und wir warten weiter auf Friedensangebote…

Mathilde Freiin von Berger pinx.

Die Zeitschrift JUGEND, Dezember 1916, Heft 52

Quellen
Hamburger Kriegsbuch 1916, (hrsg. Karl Jahrmarkt), Das Friedensangebot des Kaisers, S.334
Amtliche Kriegs-Depeschen, nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus, 5. Band, Nationaler Verlag, Berlin SW 68, 1917
http://www.betriebswirtschaft-lernen.net/erklaerung/angebot-und-nachfrage/
http://www.stahlgewitter.com/16_12_12.htm
http://www.zeit.de/1966/52/der-verpasste-friede
http://www.jugend-wochenschrift.de/index.php?id=21
http://www.14-18warwas.de/2016/12/weihnachten1916/

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