Barbara Wackermann
Am 17. Januar 1917 versammeln sich in der Galerie von Paul Cassirer in der Berliner Victoriastraße zahlreiche Mitglieder der Künstlervereinigung Berliner Secession, Kunstkritiker, Freunde und Verwandte zur Eröffnung einer Ausstellung. Der Erste Weltkrieg hat schon längst Berlin erreicht. Während draußen das schreckliche Schlachten unvermindert anhält, stehen die Menschen an der “Heimatfront“ bei grimmigem Frost nach Lebensmitteln an. Auch in der Kunstszene hat sich die Kriegsbegeisterung erschöpft, hat der Krieg auch hier seine Opfer gefordert: Die Maler August Macke und Franz Marc gefallen.
Andere, wie die Maler George Grosz, Otto Dix, Max Beckmann und der Kunsthändler Paul Cassirer, letztere beide einflussreiche Mitglieder der Berliner Secession, hatten ihre Erfahrungen an der Front, an die sie sich 1914 freiwillig gemeldet hatten, zutiefst erschüttert und dienstuntauglich gemacht. Ihre Haltung zu Krieg und Kunst hat sich seitdem grundlegend gewandelt.
Der Künstler, Jahrgang 1882, dem die heutige Einzelausstellung gewidmet ist, zählt in der Kunstwelt schon seit Jahren zu den Bekannten und Geachteten, doch der Anlass ist bitter: Waldemar Rösler, auch er körperlich und seelisch aufgerieben von seinen Erlebnissen als Soldat an der Westfront, hat sich im Dezember des Jahres 1916 das Leben genommen.
So ist dies eine Gedächtnisausstellung, von seiner Witwe, der Malerin Oda Hardt-Rösler eingerichtet. Die würdigenden Worte, die der Nestor des deutschen Impressionismus, Max Liebermann, für den viel jüngeren, aber hochgeschätzten Weggefährten – „ein Frühvollendeter“ – findet, geraten zu einem Nachruf: „Der Tod hat die deutsche Kunst um eine ihrer schönsten Hoffnungen beraubt … unter seinen Altersgenossen war er nicht nur eins der hoffnungsreichsten, sondern auch eines der gediegensten Talente.“ Es sollte eine der letzten Einzelausstellungen bis weit in die Zeit nach dem 2.Weltkrieg sein. Was nach den Gründen zu fragen Anlass gibt. Tatsache ist: Der Kunstbetrieb ist bis in die Gegenwart großenteils über ihn hinweggegangen.
Als Waldemar Rösler unmittelbar nach der Mobilmachung 1914 zur Landwehr eingezogen wird, kann er bereits auf ein reiches Schaffen zurückblicken. Ausstellungen, einzelne wie Beteiligungen in ganz Deutschland, immer wieder in Cassirers Kunstsalon, dem Nabel der damaligen Kunstwelt, seit 1907 in der Berliner Sezession, deren Mitglied seit 1909 er ist und in deren Vorstand er auf Empfehlung Beckmanns 1911 gewählt wird. Noch 1916 werden seine Bilder in Berlin und München gezeigt. Namhafte Museen kaufen schon zu Lebzeiten seine Werke an, ihm angebotene Professuren lehnt er jedoch ab. Er will sich ganz der Malerei und Lithographie widmen, steht im Austausch mit Kunsthistorikern seiner Zeit. Mit Max Beckmann und Minna Beckmann-Tube verbindet das Künstlerpaar Oda Hardt-Rösler und Waldemar Rösler eine enge Freundschaft.
Im Sommer 1914 hält er sich wie viele Jahre zuvor in Klein-Kuhren an der samländischen Ostseeküste auf, die ihm, von der Freiluftmalerei herkommend, immer wieder dem Studium seines Hauptsujets dient: der Landschaft, die er in der Tradition des deutschen Impressionismus malt, doch- wie der ehemalige Kurator der Hamburger Kunsthalle, Helmut R.Leppien, hervorhebt – ohne Traditionalist zu sein. Er war ein Künstler, „der sich der Avantgarde verweigerte“, doch „von den neuen Strömungen durchaus berührt (…), sich nicht mitreißen“ ließ. Rösler 1914 progammatisch: „Für mich gibt es nur gute Kunst von einzelnen starken Persönlichkeiten, keine Richtungen.“ Von dem öffentlich geführten, oft polemischen Richtungsstreit, der die Kunstwelt der Vorkriegsjahre umtreibt, hält er sich fern.
Aus der fast obsessiven Suche nach dem richtigen „Ausdruck“, die wunderbare Bilder entstehen lässt, wird er auf brutale Weise herausgerissen.
Ein Jahr später schreibt er aus dem Feld: „Man muß sein Gedächtnis schon sehr anstrengen, damit man sich noch dunkel entsinnen kann, daß man einmal Maler war.“
Im Krieg hat er nicht mehr gemalt, wohl aber in Zeichnungen und Lithographien und in zahlreichen Feldpostbriefen, an seine Frau Oda und an Beckmann gerichtet, seine Eindrücke festgehalten.
„Es ist kolossal was der Mensch aushält. Tagsüber laufen mit Gepäck. Nachtsüber Wache, mehrere Tage hintereinander und dabei fast nichts zu essen (…) hoffentlich ist bald alles vorbei. Gezeichnet habe ich nicht viel. Was ich habe, sende ich. Es sind meist ‚Mußestunden‘ und nicht aufregend.“
Während sich in Beckmanns während des Krieges angefertigten figurativen Zeichnungen und Gemälden die ganze Härte des Kriegsgeschehens in krasser Form und Farbe, ins Groteske gehend, widerspiegelt, sind Röslers Motive verhaltener, zeigen Momente und Stimmungen der Erschöpfung, tiefer Resignation und eines fast gespenstisch wirkenden Stillstands. Der Beitrag des zum Leutnant beförderten Rösler in den von Cassirer zwischen 1914 und 1916 herausgegebenen Künstlerflugblättern, der „Kriegszeit“ vom Oktober 1915, hat in Wort und Bild so gar nichts von der kriegsbejahenden Grundströmung im Geiste einer Burgfriedensmentalität auch in der Kunst, wie sie sich nach Kriegsausbruch in den Lithographien anderer Secessionisten (Liebermann, Beckmann, Barlach) niedergeschlagen hatte.
Zwischen 1915 und 1916 wird Rösler mit seiner Kompanie einige Male zur Erholung nach Brüssel geschickt. Dort schließt er Freundschaft mit Gottfried Benn, der als Militärarzt Dienst tut. Zusammentreffen mit Beckmann. Wohltuende Besuche im Museum. Augenblicke des Innehaltens, wohl nicht der Heilung.
Die Gedenkausstellung vom Januar 1917 sollte für lange Zeit die letzte Einzelausstellung sein und eine von 1928 die letzte, bevor zwischen 1933 und 1945 zunächst seine Werke als „entartet“ nicht mehr ausgestellt und dann in der Endphase des 2.Weltkrieges 200 seiner Werke zerstört wurden.
Erst anlässlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages zeigt die Ostdeutsche Galerie Regensburg 1982 eine große Auswahl seiner Werke, von der Presse jedoch kaum beachtet.
2016, endlich, eine Reihe von Ausstellungen zu seinem 100. Todestag: In Berlin in der Liebermann-Villa am Wannsee, im Kunstmuseum Ahrenshoop und Kühlungsborn. Hier im Museum Atelierhaus Rösler-Kröhnke, mit weitem Blick über die Ostsee, pflegt die Enkelin Waldemar Röslers, Anka Kröhnke, selber eine bekannte Künstlerin, den Nachlass, ungeachtet jeglicher Gedenkkultur. Ohne ihre unermüdliche konservatorische Tätigkeit wären diese Ausstellungen womöglich nicht zustande gekommen.
Auch heute gibt es noch Maler, für die der Schrecken des Ersten Weltkrieges nicht verjährt ist. Der Landschaftsmaler Tobias Duwe, Jahrgang 1961, ist mit der Künstlergruppe „Norddeutsche Realisten“ im Juni 2014 zum Hartmannswillerkopf, der im Ersten Weltkrieg heftig umkämpften Anhöhe in den elsässischen Vogesen, gefahren, um dort zu malen, wo heute immer noch die Zerstörungen der Landschaft, die Gräben und Unterstände am Verlauf der Front zu sehen sind, wenngleich auch teilweise schon von der Vegetation zurückerobert.
„Malend erfühlte ich nach und nach, wie sich hier mit gerade symbolhafter Stärke die Sinnlosigkeit der tausenden Opfer manifestiert. Dieser Kampf Quadratmeter um Quadratmeter steht hier in grandiosem Gegensatz zur traumhaften Aussicht über alle Horizonte und menschlichen Grenzen. Dieser Blick in die Ferne öffnet das Empfinden für das Schöne und Lebenswerte und hier wurde so vielen jungen Männern das Leben und für immer die Wahrnehmung genommen. Der richtige Ort, dachte ich, für eine Hommage an die französische Pleinairmalerei.“
Quellen
Helmut R. Leppien: Eine Künstlerfamilie – drei Generationen: Waldemar Rösler, Oda Hardt-Rösler, Walter Kröhnke, Louise Rösler, Anka Kröhnke, in: http://www.museum-atelierhaus-roesler-kroehnke.de/?area=home
Katalog zur Ausstellung „Waldemar Rösler. Gemälde-Lithographien”, Regensburg 1982, 160 S.
Katalog zur Ausstellung „Die Künstlerfamilie Rösler-Kröhnke”, hrsg. von der Handelskammer Hamburg, 2016, 96 S.
Katalog zur Ausstellung „Die Norddeutschen Realisten am Hartmannsweilerkopf“, Kiel 2014, 66 S.
Museum Ateliehaus Kröhnke-Rösler, www.anka-kroenke.de
Katrin Arrieta, “Waldemar Rösler (1882-1916) – Ein Secessionist am Meer” in: Katalog zur Ausstellung “Waldemar Rösler (1882-1916) – Ein Secessionist am Meer”, hrsg. Kunstmuseum Ahrenshoop, 2016, 80 S. http://kunstmuseum-ahrenshoop.de/ausstellungen/sonderausstellungen/waldemar-roesler.html
http://www.liebermann-villa.de/ausstellungen.html
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/3293/1/Schubert_Ueber_Waldemar_Roesler_1982.pdf
http://blog.liebermann-villa.de/beckmann-und-roesler/
Zum Weiterlesen empfohlen
Bernhard Echte, Walter Feilchenfeldt (Hrsg), Cassirer (Kunstsalon): Die Ausstellungen 1910-1914. Teil 1: „Verheißung und Erfüllung zugleich“, Teil 2: „Eine neue Klassik“, Wädenswil, 2016, 1440 S.
1 Antwort zu Vergessen, nicht verjährt. Zum 100.Todestag eines deutschen Impressionisten.