Mit dem Fahrrad an die Front

fahrr_0001Stellungskrieg – diesen Begriff kennen wir ja und verbinden damit die Kämpfe bei Verdun oder an der Marne. War man nicht im Schützengraben, nannte man das gegenseitige Töten Bewegungskrieg. Man musste ja erst einmal von zu Hause weg, und zwar schnell. Da war jedes Fortbewegungsmittel recht. Die Eisenbahn, Lastwagen, Automobile und Pferde wurden eingesetzt, um möglichst schnell ins Feindesland zu gelangen. Die Franzosen schickten im September 1914 sogar einige Tausend Soldaten mit dem Taxi an die Front.
Ja, und nun Fahrräder. Wäre das nicht zu langsam und mühselig gewesen? Mit Tornister, Gewehr und Verpflegung? Aber im Verlaufe des Krieges gab es tatsächlich Einheiten, die mit dem Fahrrad ausgerüstet waren und für besonders knifflige Aufgaben eingesetzt wurden. Was waren denn das für Fahrräder? Mountain-Bikes, Klappräder oder Rennräder?
rz960004a_bVielleicht hat die Firma Stukenbrok aus Einbeck die Fahrräder für die Front geliefert. Sie baute schon vor dem ersten Weltkrieg hervorragende Räder. Im Katalog von 1912 wird besonders das Modell „Deutschland“ angepriesen.

stu_0001Erstklassiges deutsches Fabrikat
„Deutschland“ Nr.16
Modell 1912.
Ausgezeichnetes, recht elegantes, sehr stabiles Herrenrad.

Mit diesem Modell bringe ich eine Maschine von hervorragender Konstruktion, augenfälliger Schönheit und größter Zuverlässigkeit auf den Markt. Aus ausgesuchtem Material hergestellt, steht dieses Rad, was gute Verarbeitung und moderne Bauart anbelangt, einzig da.
Die Maschine besitzt trotz des nicht zu hohen Gewichts eine Stabilität und Dauerhaftigkeit, wie man sie selten findet. Ganz besonders möchte ich gerade bei dieser Maschine auf den wirklich spielend leichten und ruhigen Lauf, sowie auf die in jeder Hinsicht geschmackvolle und vornehm wirkende Ausstattung derselben aufmerksam machen.
borbely_0004 - KopieDie Güte und Preiswürdigkeit der Fahrräder ist unübertroffen. Die Marke „Deutschland“ ist eine Qualitätsklasse für sich und nicht zu verwechseln mit den billigen Rädern des allgemeinen Marktes. Erstklassig und mustergültig nennen es die Fachleute.

Deutschland – Fahrradwerke AUGUST STUKENBROK. EINBECK
Erstklassige Spezialitäten in Fahrrädern, Nähmaschinen und Waffen.

Die Radfahrtruppen hatten auf ebenen Straßen und Wegen eine hohe Marschgeschwindigkeit und Reichweite. Sie konnten sich nahezu lautlos bewegen und wesentlich mehr Gepäck als ein Fußsoldat mitführen. Zudem war das Ausrücken aus der Kaserne im Vergleich zu motorisierten Kräften wesentlich beschleunigt. Gegenüber Kavallerie waren die ersten genutzten Fahrräder jedoch kaum geländegängig und der Waffengebrauch während der Fahrt kaum möglich.
Erste Versuche einer militärischen Nutzung des Fahrrades begannen nach 1885. In Deutschland wurden ab 1892 Radfahrer zuerst nur als einzelne, den Truppenteilen zugewiesene Melder eingesetzt. Um 1894 wurden erste Radfahrabteilungen aufgebaut. Im Ersten Weltkrieg dann wurden spezielle Radfahrtruppen gebildet. Sie gehörten strukturell zu den Jägern, einer infanteristischen Elitetruppe. Es gab im deutschen Heer 36 Radfahrerkompanien, eine Kavallerie-Radfahrerabteilung, 10 Reservekompanien und 17 Ersatztrupps. http://www.quickiwiki.com/de/Radfahrtruppen

Lange vor der allgemeinen Motorisierung war das Fahrrad das Fortbewegungsmittel schlechthin – schnell und gut. Aber nicht nur in Deutschland war das Fahrrad auf dem „Vormarsch“. Auch der Feind hatte flotte Räder. So setzt Jean Echenoz seinen Helden Anthime zu Beginn seines Romans „14“ auf das Rad und lässt ihn am 1. August 1914 der allgemeinen Mobilmachung entgegen radeln.

Da das Wetter sich ganz ausgezeichnet dafür eignete und es Samstag war, ein Tag, an dem seine Tätigkeit ihm erlaubte, nicht arbeiten zu müssen, war Anthime nach dem Mittagessen zu einer Radtour aufgebrochen. Seine Pläne: die pralle Augustsonne genießen, sich ein wenig ertüchtigen und die Landluft tief einatmen, wahrscheinlich auch, im Gras liegend, lesen, denn er hatte an seinem Fahrzeug mit einem Gummispanner ein Buch befestigt, das für den Drahtgepäckträger zu voluminös war. Nachdem er locker aus der Stadt hinausgerollt und mühelos rund zehn Kilometer durch eine Ebene geradelt war, musste er bei einem Hügel in den Wiegetritt gehen und geriet, sich auf seinem Rad von links nach rechts werfend, ins Schwitzen.
Als Anthime auf dieser Erhebung angelangt war, kam jäh ein ruppiger Wind auf, der ihm erst beinahe die Mütze weggeweht und dann das Rad aus dem Gleichgewicht gebracht hätte – ein solides Gefährt der Marke Euntes, von Kirchenmännern für Kirchenmänner konstruiert, das er einem von der Gicht geplagten Vikar abgekauft hatte. Derart lebhafte, geräuschvolle und brüske Luftbewegungen sind in der Region im Sommer eher ungewöhnlich, schon gar bei solchem Sonnenschein, und Anthime musste einen Fuß auf den Boden setzen, der andere blieb auf dem Pedal, das Rad etwas schräg unter ihm.
Nichts anderes war zu hören als dieses Tosen, und es war vier Uhr nachmittags. Dann brach das betäubende Grollen des Windes ebenso jäh ab, wie es aufgekommen war, und wich dem Geräusch, das es bislang übertönt hatte: nämlich den Glocken, die hoch auf den Türmen zu läuten begonnen hatten und unisono in einem ernsten, bedrohlichen, schweren Durcheinander erklangen, in dem Anthime, obgleich er über wenig Erfahrung damit verfügte, denn er war zu jung, um schon viele Beerdigungen erlebt zu haben, sogleich instinktiv die Sturmglocke erkannte – die man nur selten betätigt und deren Anblick ihn vor dem Ton erreicht hatte. Angesichts des gegenwärtigen Zustandes der Welt konnte das Sturmgeläute nur eines bedeuten: Mobilmachung.

Quellen
http://www.quickiwiki.com/de/Milit%C3%A4rfahrrad
http://fahrradzukunft.de/13/gelesen/

Mit dem Stukenbrok-Fahrrad an die Front?
stukenbWir staunen heute über die hochmoderne Form der Stukenbrok-Räder – elegant, ohne Schnickschnack und in der Technik vorbildlich. Sie waren vor 100 Jahren tatsächlich sehr beliebt. Das steht zumindest auf einem Bestellschein für den Katalog, der 1918 einem Jahreskalender beigeheftet war. Dort steht:
„Erstklassige Qualitäten zu mäßigen Preisen bei prompter und exakter Bedienung haben dem Hause Stukenbrok Weltruf erworben.
Nahezu ¼ Million „Deutschland“-Fahrräder zur besten Zufriedenheit geliefert. Tausende von freiwilligen Anerkennungen aus allen Kreisen.“
Auf der Rückseite dieses Bestellscheins in Postkartengröße finden wir aber auch den Beleg dafür, dass Stukenbrok tatsächlich Räder für den Krieg geliefert hat:
„Die Firma Stukenbrok Einbeck ist Lieferantin vieler fürstlichen Häuser, sowie hoher und höchster Herrschaften des In- und Auslandes, der deutschen Armee und Marine, vieler Staatsbehörden und eisenbahn-Verwaltungen, verschiedener Vereinigungen und Vereine. Vertragslieferant der Kaiserlichen Reichspost.“
http://www.blitzrad.de/Kataloge/1915-august-stukenbrok-katalog-fahrraeder-und-zubehoer.pdf

Vom Kaiser bis zum Briefträger – man fuhr Stukenbroks Räder allüberall im deutschen Reich. Die Herrlichkeit war dann aber bald vorbei. Die Weltwirtschaftskrise führte 1932 zur Insolvenz des Unternehmens. Die Stadt Einbeck schmückt sich bis heute mit dem Namen Stukenbrok. Im ehemaligen Firmengebäude ist das Neue Rathaus untergebracht.

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