Ein Denkmal erinnert sich

Ändern sich die Zeiten, ändern sich auch die Straßennamen. Das haben wir in Deutschland 1933, 1945 und 1989 erlebt. Aus dem Südring in Hamburg wurde 1933 ganz schnell die Schlageterstraße. Und ob die Hindenburgstraße ihren Namen behalten oder Otto-Wels-Straße heißen sollte, darüber hat man sich jahrelang in Hamburg gestritten.
Bei den Denkmälern im öffentlichen Raum ist es manchmal ähnlich oder sogar noch heftiger. Da prallen die Meinungen aufeinander: Wo soll das Denkmal stehen? Wie soll es aussehen? Welche Symbole und welche Inschrift soll es haben?

IMG_20150202_110216Eine aufregende Geschichte hat das Denkmal im Zentrum Hamburgs hinter sich, das an die Opfer des Ersten und des Zweiten Weltkriegs erinnern soll. Tagtäglich wird dieser schöne Platz von Touristen aus aller Welt fotografiert. Von allen Seiten. Aber die meisten entdecken erst zu Hause auf ihren Fotos diesen riesigen aufrechten Pfeiler und fragen sich: Was ist das denn für ein merkwürdiges riesiges Steingebilde?

Dieses Steingebilde entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein Denkmal zur Erinnerung an die Kriegsopfer beider Weltkriege oder – wie es zu bestimmten Zeiten unserer Geschichte genannt wurde – ein Kriegerdenkmal oder Ehrenmal. Heute spricht man eher von einem Mahnmal. Auf jeden Fall – so steht es im Duden – ist ein Denkmal ein „zum Gedächtnis an eine Person oder ein Ereignis errichtete, größere plastische Darstellung; ein Monument“.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gab es in Europa fast keine Kriegerdenkmäler, um den einzelnen Soldaten zu ehren. Das war eher Fürsten, Königen oder Generälen vorbehalten. Das änderte sich schlagartig nach dem Ende des Ersten Weltkriegs.
„Nahezu in jeder Gemeinde wurde ein Denkmal für die aus den Gemeinden stammenden gefallenen Männer errichtet. Dieser gesteigerte Bedarf hatte in ganz Deutschland eine ‚Industrialisierung‘ der Denkmalsentwicklung zur Folge. Steinmetzfirmen boten Kataloge, aus denen man standardisierte Denkmäler bestellen konnte. Viele der getöteten Soldaten waren im Ausland begraben, so dass die Kriegerdenkmäler den Hinterbliebenen ein Ersatzgrab boten, an dem sie trauern konnten.“
http://www.hamburgerforum.org/11_0324_Seminar%20Kriegerdenkm%C3%A4ler.pdf

Das Hamburger Denkmal wurde 1931 erst ziemlich spät errichtet und hatte schon vor seiner Entstehung für großen Wirbel gesorgt. Es ist eine lange und aufregende Geschichte mit den üblichen Streitpunkten: Wer soll es bauen? Was soll darauf abgebildet werden? Was für eine Inschrift soll es haben? Wo soll es stehen?

Mit der Frage „Wo soll es stehen?“ begann gleich ein heftiger Streit. Fritz Schumacher, Hamburgs damaliger Baudirektor, suchte sich ausgerechnet den Platz aus, wo schon ein Denkmal stand – den Rathausplatz.

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Kaiser Wilhelm I. auf dem Rathausplatz (1903)

Dort stand seit 1903 ein pompöses Reiterstandbild des ersten Kaisers Wilhelm. Schumacher entschied: Das muss weg. Er war schon lange empört über dieses Monstrum, das den ganzen Rathausplatz verschandelte. Sein Freund Gustav Schiefler schreibt 1920 in seinen Erinnerungen:
Die Errichtung des Kaiserdenkmals wurde 1898 beschlossen. Wie konnte Hamburg den ersten Kaiser des neuen Reiches besser ehren, als daß es seinen Rathausmarkt völlig verdarb? Man baute in seiner Mitte eine 1800 Quadratmeter große Plattform, zu welcher vorn, auf der Seite des Rathauses, eine breite, von rückwärts eine schmalere Treppe von fünf Stufen hinaufführen, dergestalt, daß jeder, der den Platz quert, nicht aus dem Gefühl des Stolperns herauskommt.

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Foto aus der Sammlung Johann und Heinrich Hamann

Am 20. Juni 1903 wurde das Denkmal enthüllt. Wir saßen alle auf den großen Tribünen vor dem Rathaus. Da verkündeten die Glocken, daß Kaiser Wilhelm II. seinen Salonwagen auf dem Dammtorbahnhof verlassen habe. Gleich darauf sah man schräg über die Kleine Alster hinweg ein schwarz und weißes Wölkchen herüberflattern. Es waren die Fähnchen der Husaren-Schwadron. Unter endlosen Hurrarufen der Menge schritt der Kaiser in das große Empfangszelt. Nach den üblichen Reden fiel die Hülle und man sah, wie der Enkel mit den Bürgermeistern und seinem Gefolge das Denkmal umschritt. Man sagte, er sei zufrieden gewesen.

Wie anders verlief dann knapp 30 Jahre später die Einweihung des Denkmals, auf dem ein Relief von Barlach abgebildet war – eine 21 Meter hohe Stele aus Muschelkalk. Andere Zeiten, andere Sitten. Als am frühen Morgen des 3. August 1931 eine Delegation des Senats das Denkmal enthüllte, geschah dies ohne Publikum. Immerhin ließ sich der Bürgermeister Rudolf Roß blicken.

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Denkmal von 1931 für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs

Die Kritik an der Stele war groß, weil nicht die gefallenen Soldaten im Vordergrund standen, sondern die Trauernden. Die Inschrift im Relief: „Trauernde Mutter mit Kind“. Die Mutterfigur und ihr Kind umfassen sich gegenseitig, spenden sich Trost in ihrem Leid.

Foto vor 1933: Im Hintergrund das Modehaus Robinsohn und das Kaufhaus Hirschfeld. Beide Geschäfte wurden am 9. November 1938 schwer verwüstet.

Sie trauern um die Gefallenen, die sie durch den Krieg verloren haben. Auf der anderen Seite der Stele steht in Großbuchstaben: „Vierzig Tausend Söhne der Stadt ließen ihr Leben für euch 1914-1918“.
Fritz Schumacher hat kurz vor seinem Tode im Jahr 1947 darüber einen bewegenden Bericht geschrieben. Es liest sich wie ein Drehbuch zu einem Film. In den Hauptrollen Ernst Barlach, der Hamburger Senat, Kaiser Wilhelm I. und als Statisten die Hamburger Bürger. In einer Nebenrolle der Markusplatz von Venedig. Regie: Fritz Schumacher.
Hier ein kurzer Ausschnitt. Der vollständige Text steht unter http://win2014.de/?page_id=2147

Hamburg war bis vor zwei Jahrzehnten wohl die an öffentlicher Plastik ärmste Stadt Deutschlands. Was es durch alle die Jahrhunderte an künstlerischen Malen aufgestellt hätte, ließ sich beinahe an den Fingern einer Hand aufzählen.
Um den Weg für diesen Wettbewerb freizumachen, hatte zuvor eine der schwersten Aufgaben gelöst werden müssen, die man in Hamburg anpacken konnte: die Befreiung des Rathausplatzes von dem störenden städtebaulichen Mißgriff, den die Art der Aufstellung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf diesem Platze bedeutete.
In langem Ringen war nach dem Großen Brande von 1842 ein Platzgebilde als neues Herz Hamburgs entstanden, der sich erweitert über die „Kleine Alster“ zur Wasserfläche der Binnenalster und sich gleichsam ausströmt in den freien Himmelsblick. Dieser eigentümliche räumliche Zusammenhang, der nur im Markusplatz Venedigs ein Analogon findet, war durch das Kaiserdenkmal zerstört.
Im Zusammenhang mit der schön gerundeten Wassertreppe der „Kleinen Alster“ sollte am Gelenkpunkt des hakenförmigen Platzes ein „schlichtes Mal“ entstehen. Barlach schlug vor, hierher die Riesengestalt eines in die Knie gesunkenen Mannes zu setzen, der im Begriff sich aufzurichten, die Ketten abstreift, die seine Hände auf dem Rücken fesseln: „Der Erschütterte“.
Das Preisgericht entschied sich für eine schlanke, einundzwanzig Meter hohe stelenartige Tafel, die wie das steinerne Blatt einer Chronik verkündete: „Vierzigtausend Söhne der Stadt ließen ihr Leben für Euch.“ Dieses steinerne Chronikblatt wirkte aber auf dem gewählten Standort nicht nur zum Rathausplatz hinüber, sondern vielleicht ebenso stark nach der Seite der Alsterarkaden.
Als am Jahrestag des Kriegsbeginns früh morgens die Hüllen fielen, hinter denen man gemeißelt hatte, blieb Hamburg stumm. Die Presse nahm nur von abfälligen Urteilen Notiz, bestenfalls hüllte sie sich in Schweigen.
Die stille Morgenfeier der Enthüllung bestand darin, daß der Regierende Bürgermeister auf dem noch menschenleeren Platz einen Lorbeerkranz am Denkmal niederlegte. Ich streifte ungesehen in den Alsterarkaden herum. Barlach war nicht erschienen.

307px-Hamburg_Mahnmal_01_KMJ-adjDas Denkmal wurde ab 1933 heftig verunglimpft. Barlachs Relief – die Mutter, die ihr Kind tröstet – war nicht nach dem Geschmack der Nationalsozialisten. In einem Hamburg-Führer von 1936 wird es gar nicht erwähnt. Dort heißt es nur: „Ehrenmal auf dem Adolf-Hitler-Platz zur Erinnerung an die im Weltkrieg gefallenen 40 000 Hamburger “.
Der Gauleiter von Hamburg, Karl Kaufmann, beauftragte 1939 den Bildhauer Hans Martin Ruwoldt mit einer Neugestaltung des Reliefs. Ruwoldt entwarf einen adlerartigen aus der Asche aufsteigenden Phönix.

Nach dem Zeiten Weltkrieg wurde der Adler im Auftrag des Senats wieder vernichtet und das Barlach-Relief 1949 wieder hergestellt. Das war mit Hilfe eines Abgusses von einem Werkmodell Barlachs möglich. Es wurde umgewidmet und erinnert seitdem an beide Weltkriege.
Und was ist aus Kaiser Wilhelm geworden? Der reitet seit 1984 auf seinem Bronzepferd durch Planten und Blomen und durch die Großen Wallanlagen .

Nur einen Kilometer vom Rathaus entfernt steht am Dammtor seit 1936 ein weiteres „Kriegerdenkmal“ – ebenfalls mit einer bewegten Vergangenheit und ebenfalls Streitpunkt seit Jahrzehnten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mehr als 150 solcher Kriegs- und Kriegerdenkmäler gibt es in Hamburg. Wer sich darüber genauer informieren möchte, dem sei das Buch von Kerstin Klingel empfohlen – „Eichenkranz und Dornenkrone“ – das 2006 von der Landeszentrale für politische Bildung herausgegeben wurde.
Ein hervorragendes Projekt über die Hamburger Denkmäler hat der Arbeitsbereich Erinnerungskultur der Evangelischen Akademie der Nordkirche ins Leben gerufen. Es heißt DENK MAL! Die Jahreszahlen 1914, 1939 und 2014 sind verbunden mit dem Leitmotiv ERINNERN, GEDENKEN und GESTALTEN. Für dieses Projekt verantwortlich ist der Hamburger Pastor Ulrich Hentschel. http://www.denk-mal-gegen-krieg.de/

Quellen
Kerstin Klingel, Eichenkranz und Dornenkrone, Hamburg, 2006
Gustav Schiefler, Eine Hamburgische Kulturgeschichte 1890-1920, Hamburg, 1985, S. 509

http://www.hamburg.de/sehenswuerdigkeiten/3091888/ehrenmal/
http://www.gedenkstaetten-in-hamburg.de/gedenkstaetten/gedenkort/relief-von-ernst-barlach-auf-dem-kriegerdenkmal-am-rathausmarkt/
http://www.ndr.de/kultur/geschichte/schauplaetze/Wo-Hamburg-an-Krieg-erinnert,ersterweltkrieg134.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Denkm%C3%A4ler_in_Hamburg

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