Rathenau – mein Gott, Walther!

In diesem Jahr jährt sich Walther Rathenaus Geburtstag zum 150. Mal. Schon jetzt bereitet man sich in Berlin auf dieses Ereignis am 29. September vor. Es wird eine Sonderbriefmarke geben, es wird Feierlichkeiten, Festreden und einen gewaltigen Medienrummel geben. Den Anfang machten jetzt im Januar die Kommunalvertreter in Treptow-Köpenick:

Die Bezirksverordnetenversammlung wird ersucht, anlässlich des 150. Geburtstages das Leben und Wirken des Industriellen, Schriftstellers und Politikers Dr. Walther Rathenau (1867-1922) hinsichtlich seines Lebenswerkes und seiner Arbeit im Bezirk mit geeigneten Veranstaltungsformen zu würdigen.

Rathenau mit geeigneten Veranstaltungsformen würdigen? Gibt es auch ungeeignete?

Angela Merkel hat 2014 Rathenaus Persönlichkeit und sein Wirken eindrucksvoll oder sozusagen geeignet gewürdigt und in wenigen  Sätzen auf den Punkt gebracht. Das war am 21. November 2014 anlässlich der Verleihung des Walther-Rathenau-Preises an den Ministerpräsidenten des Königreichs der Niederlande, Mark Rutte:

Walther Rathenau steht exemplarisch für die Ambivalenzen, die die Zeit zwischen beiden Kriegen geprägt haben. Einerseits war er als junger Industrieller an der deutschen Rüstungsproduktion im Ersten Weltkrieg beteiligt. Andererseits vertrat Rathenau später als Außenminister der Weimarer Republik eine Politik, die auf Verständigung und friedlichen Interessenausgleich ausgerichtet war, und hatte dahingehend viele Visionen entwickelt.

Das war in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg alles andere als selbstverständlich. Revanchistisches und radikales Gedankengut waren weit verbreitet. Rathenau wurde aufgrund seiner Haltung, aber auch als namhafter Vertreter des jüdischen Bürgertums von vielen Landsleuten angefeindet. 1922 ermordeten ihn rechtsradikale Extremisten. Ihre Tat war ein Vorzeichen der fürchterlichen Jahre, die alsbald folgen sollten. Doch Walther Rathenaus Tod löste eine überwältigende Anteilnahme in der Bevölkerung aus, denn mit seiner beredten und zupackenden Art verstand er es wie kaum ein Zweiter, in schwierigen Zeiten Hoffnung zu vermitteln.

Nochmal die Frage: Rathenau mit geeigneten Veranstaltungsformen würdigen? Gibt es auch ungeeignete? Zumindest darf man gespannt sein, ob auch eine der etwas dunkleren Seiten im Leben Walther Rathenaus ausgebreitet und diskutiert wird – seine über Jahre hinaus enge Freundschaft zu einem gewissen Wilhelm Schwaner. Wollte man aus dieser ungewöhnlichen Freundschaft einen Dokumentarfilm machen, würde man das Drehbuch für Fiktion halten. Aber die Fakten sind Fakten: Dieser Wilhelm Schwaner war Judenhasser, Nationalist und Deutschtümler und war über Jahre ein enger Freund Walther Rathenaus. Plötzlich ist man in einer unglaublichen Geschichte, die man so nicht für möglich halten kann. Wer war dieser Wilhelm Schwaner?

So ganz unbekannt und unscheinbar scheint Wilhelm Schwaner nicht gewesen zu sein. Über ihn gibt es einen längeren Wikipedia-Eintrag und in den zahlreichen Biografien über Rathenau wird diese Freundschaft ausführlich dargestellt. Sogar der Briefwechsel zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Menschen ist veröffentlicht: Walther Rathenau/Wilhelm Schwaner: Eine Freundschaft im Widerspruch. Der Briefwechsel 1913-1922.

Walther Rathenau schrieb einmal, nach dem Tod des Bruders und des Vaters habe er nie wieder einen richtigen Freund gehabt. Aber das stimmte nur halb. Einen Freund hatte Walther allerdings, und das war Wilhelm Schwaner. Aber es musste eine Freundschaft im Verborgenen bleiben. Über Rathenaus Motive, sich ausgerechnet einen völkischen Freund zu suchen wurde vielfach spekuliert. War die Freundschaft Ausdruck einer verborgenen homosexuellen Sehnsucht oder gar einer tatsächlich gelebten Beziehung? Sicherlich wird es im Herbst neue Biografien über Rathenau geben, die das Rätsel dieser Beziehung versuchen werden zu lösen.

Wilhelm Schwaner war so etwas wie ein völkischer Schriftsteller. Eigentlich war er Lehrer, verließ aber 1894 den ungeliebten Schuldienst, nachdem er sich mehrfach mit der Schulbehörde angeleg hatte. Darauf wurde er in Kiel Redakteur beim General-Anzeiger. Hier trieb er seine Beleidigungen gegen  einen Schulrat so weit, dass er für drei Monate ins Gefängnis kam. Das hat ihn wohl noch mehr gegen die bestehenden Verhältnisse aufgebracht. Schwaner machte sich schließlich selbstständig. Er gründete 1897 die Zeitschrift Der Volkserzieher. Blatt für Familie, Schule und öffentliches Leben und veröffentlichte darin seine Ideen, um das deutsche Volk auf den richtigen Weg zu bringen.

Deutschlandweit bekannt wurde er ab 1904 durch sein Buch Germanenbibel, eine Sammlung völkischer Texte. Das Werk erreichte bis in die 30er Jahre hohe Auflagenzahlen.

»Wilm« Schwaner, wie er sich nannte, war ein strammer Rechter, der die Juden hasste und ihnen in seinen Hetzartikeln die Schuld am Elend des Germanentums gab, bis…, – ja, bis er eines Tages ein Buch von Walther Rathenau in den Händen hatte. Er hatte sein neuestes Buch Zur Kritik der Zeit gelesen, das 1912 erschienen war. Schwaner war sofort Feuer und Flamme und hellauf begeistert. Seine Euphorie gipfelte in dem jubelnden Satz: »Der dunkle Jude hat den blau-blonden Germanen erlöst!«

Schwaner, der blau-blonde Germane, vergaß alle seine Vorurteile gegenüber den Juden und ging aufs Ganze. Er schrieb voller Gefühlsduselei einen Brief an Rathenau, den dunklen Juden. Als Rathenau am 3. Dezember 1913 diesen seltsamen Brief erhielt, war er ebenfalls sofort überwältigt und antwortete umgehend. Er schickte Schwaner außerdem sein neuestes Buch Die Mechanik des Geistes. Es war der Beginn einer sonderbaren Freundschaft. Was ging da zwischen diesen beiden Männern vor sich?

Schwaner war vier Jahre älter als Rathenau und, als sie sich kennen lernten, 50 Jahre alt. Zwei alte – sagen wir mal – gesetzte ältere Herren kennen sich nur durch ein paar Briefe und fliegen sofort aufeinander. Es dauert nur wenige Wochen, bis sie sich treffen. Rathenau lädt Schwaner ein, mit ihm zu essen. Ausgerechnet er, der seine zahlreichen Bewunderer zwar fleißig mit Briefen versorgte, sie sich aber sonst weitgehend vom Leibe hielt.

Beide gehen gleich auf Tuchfühlung. Eine tiefe, unerklärliche Anziehungskraft entsteht zwischen diesen beiden ungleichen Männern. Wolfgang Brenner schreibt dazu in seiner Biografie über Walther Rathenau:

Schwaner kam zu Rathenau, sie duzten sich sofort – und sie liebten sich. Das gibt es. Das gibt es vielleicht gerade dann, wenn die Dinge so schwierig liegen wie hier. Beide waren im Grunde verschlossene Menschen, beide waren mißtrauisch, beide waren einsam. Schwaner schrieb nach dem ersten Rendezvous: »Hast Du mich lieb? Ich habe Dich lieb. Ich habe Dich sehr lieb!«

Darüber kann man lange spekulieren, was für eine Art Liebe zwischen den beiden entstanden ist. Auch aus dem inzwischen edierten Briefwechsel wird man nicht schlauer. Wolfgang Brenner schreibt in seiner spannenden Biografie völlig unbelastet über mögliche Motive. Auch beim Thema Homosexualität zeigt Brenner keine Scheu, ohne allerdings Beweise zu liefern. Brenner versucht das Ganze aus Rathenaus gesamten Charakterkonstellation zu verstehen. Hier ein paar Textpassagen aus seinem Kapitel Der geliebte Feind:

Man beschloß spontan, sich immer unter vier Augen zu sehen. Warum? Weil beide wußten, daß ihre jeweiligen Freunde wenig Verständnis für diese Liaison haben würden. Weil beide wußten, daß ein Dritter, wenn er sie einander wie pubertierende Jünglinge anschwärmen hörte, ihr Verhältnis falsch – oder noch schlimmer: richtig verstehen würde. Schwaner wird so deutlich, daß es einem den Atem verschlägt angesichts dieser beschleunigten Annäherung, die eigentlich nur in einer Katastrophe enden kann: »Kannst und willst Du nach diesem Briefe doch zu mir kommen, so komme in der Nacht und sag’s mir vorher.«

Das hat auch praktische Gründe: Schwaner will mit Rathenau die Sterne beobachten und aus ihnen lesen. Aber der Ton verheißt mehr als nur Astrologisches. Heute mutet das halsbrecherisch an – auf dem Briefkopf prangen zwei Hakenkreuze.

Schwaner hält dem jüdischen Freund gegenüber nicht mit seiner politischen Überzeugung hinterm Berg. Er prahlt mit der hohen Zahl seiner Anhänger: 10 000 bis 12 000. Überhaupt ist es nicht Rathenau, der darauf drängt, noch inniger zu werden, sich noch näher zu kommen. Schwaner schlägt allen Ernstes vor, Rathenau solle zu ihm ins Svantehus nach Hermannstein bei Waldeck ziehen. Dabei ist er ein gestandener Familienvater. Zum ersten Mal reagiert Walther etwas reserviert: Er müsse schließlich das Werk seines Vaters weiterführen. Das konnte man nicht vom Svantehus aus.

Dafür ist Rathenau jederzeit bereit, dem Freund unter die Arme zu greifen. Er schickt ihm 3000 Mark für die teure Feldverschickung des Volkserziehers und anderer Propagandamaterialien. Immerhin deklariert Rathenau seine wiederholten Geldzuwendungen als pure Liebesdienste: »Für Dich persönlich, denn Dein Werk ist nicht mein Werk«

Rathenau war der alte geblieben – er hatte nur endlich jemanden gefunden, bei dem er keinerlei emotionale Vorbehalte verspürte. Da war ein Mensch nach seinem Geschmack, geradlinig und gefühlvoll. Man kann das verstehen. Doch der Freund war auch einer, der mit Rathenaus Feinden politisch aufs engste verkehrte – das ist weniger gut nachzuvollziehen. Man sollte Walther zugestehen, was man jedem Teenager zugesteht: daß Liebe blind macht.

Blind muss Rathenau auf jeden Fall gewesen sein, als er mitten im Krieg Schwaners neuestes Machwerk in den Händen hielt. Mit dem viel- und nichtssagenden Titel „Todtrotzend kämpfen!“ erschien diese 96 Seiten lange Broschüre 1916 in Schwaners Kriegsbüchern aus Upland. Auf dem Titelblatt ist eine Vignette abgebildet mit einem Adler und einem Hakenkreuz, allerdings spiegelverkehrt.

Erschienen 1916

Beim ersten Durchblättern steht das Urteil fest: Es ist eine weitere Hetzschrift allererster Güte gegen sämtliche Feinde innen und außen. In einer geifernden Sprache, die ihr Vokabular aus der Hölle bezogen hat. Hätte das nicht Rathenau endgültig die Augen öffnen müssen, um sich von Schwaner endgültig zu trennen? Um es vorweg zu nehmen: Die Beziehung zu Schwaner hielt bis zu Rathenaus Tod.

Vielleicht hat ein Satz im Vorwort den Patrioten und Visionär Rathenau eingelullt. Schwaner schreibt: Wenn nicht mehr auf jeden Feldpostbrief und jede Feldpostkarte besonders geantwortet wird: denkt daran, daß wie Ihr draußen für uns schafft, wir hier daheim für Euch sorgen und arbeiten; wir wollen Euch ein Neues Reich zeigen, wenn Ihr wiederkommt!

Aber schon der erste Beitrag mit dem Titel Der Hammer der Welt ist so grauenvoll und ekelhaft geschrieben. Rathenau, selber ein brillanter Formulierer in stets austarierter Sprachdiktion, kriegt es hier um die Ohren. Die Rede ist vom zigeunerhaften Schweinemäster- und Königsmördervolk Serbien, von Schmarotzern, Satanskultur, von blutigen Henkern, Donnerhall, Brandreden, vom Blut, das verspritzt wird, von Friedensgesäusel, Brutnestern und Schwerthieben gegen den Feind.

Deutschland ist ein einziges großes Kriegslager geworden. Im Osten hebt das stiere Ungeheuer seine ungeschlachten Pranken, und im Westen arbeitet es gegen uns mit den modernsten Errungenschaften seiner Satanskultur. Und auch vom Norden und Nordwesten her hetzt es mit anderen Höllenhunden gegen uns an, die wir bisher für Vettern und Brüder hielten. [ ] Wir sind es müde, der Ambos Europas zu sein – jetzt werden wir, was die alten Germanen waren, der Hammer der Welt.

Wie mag wohl Rathenau den nächsten Satz verstanden haben?

Denn der Krieg ist ja nicht eine Auslese der Starken fürs Leben, sondern der Schwachen und Minderwertigen. Nur die wertvollen Alten, die ganz Jungen bleiben übrig und die Frauen. Und es dauert Jahrzehnte und vielleicht Jahrhunderte, bis die Folgen eines großen Krieges rassenmäßig wieder ausgeglichen sind.

Die Beziehung zu Schwaner hielt, wie gesagt, bis zu Rathenaus Tod – wenn sie auch nicht mehr so intensiv war wie am Anfang. Sie war wohl eine der wenigen Konstanten in Rathenaus Leben und nicht den Schwankungen und Brüchen unterworfen, die in seinem Leben sonst vorherrschten.

Man darf gespannt sein, ob diese Geschichte zwischen Rathenau und Schwaner auch im Herbst Thema sein wird, wenn Rathenaus 150. Geburtstag gefeiert wird. Berlin und Brandenburg bereiten sich schon jetzt darauf vor – nicht nur die Kommunalpolitiker in Treptow-Köpenick.

Da passt es so gar nicht ins Bild, dass in Bad Freienwalde im November 2016 eine Walther-Rathenau-Dauer-Ausstellung für die Öffentlichkeit geschlossen wurde. Verstehen kann man das nur, wenn man weiß, dass diese Ausstellung in einem feinen Hohenzollernschlösschen untergebracht ist, das Walther Rathenau im Jahre 1909 erworben hatte. Zu hohe Kosten für die Stadt, den Landkreis und das Land Brandenburg? 300.000 Euro laufenden Kosten jährlich standen über Jahre nur ca. 10.000 Euro Einnahmen gegenüber. Wie mag es wohl weitergehen? Hat der Bund vielleicht Interesse oder sogar die Verpflichtung, das Erbe dieses außergewöhnlichen Außenministers zu bewahren?

Rathenau verbrachte in seinem Schloss in Freienwalde über zehn Jahre seinen Sommeraufenthalt. Es wurde für Rathenau zu dem Ort, an dem er mit Widersprüchen in sich leben und umgehen konnte. Dort schrieb er, dorthin lud seine engsten Mitarbeiter und literarischen Freunde ein. Gerhart Hauptmann war da, Carl Sternheim war da und viele andere.

Zum Schluss noch einmal die Frage: Rathenau mit geeigneten Veranstaltungsformen würdigen? Gibt es auch ungeeignete? Jetzt gibt es aus Bad Freienwalde eine Antwort darauf. Der Ausschuss für Kurstadtentwicklung und Tourismus hat am 9. März den Vorschlag abgelehnt, einen Erinnerungsstein im Kurpark aufzustellen, um an das Treffen von Walther Rathenau und dem Schriftsteller Gerhart Hauptmann im April 1914 zu erinnern.

Die Ausschussmitglieder lehnten die Idee überwiegend ab. Er erkenne keine Bedeutung in dem historischen Ereignis, sagte der Ausschussvorsitzender Joachim Rau (Linke). Es sei bereits ein Stein für Louis Henri Fontane, dem Vater von Theodor Fontane, geplant. Er könne sich nicht damit anfreunden, überall einen Stein aufzustellen, wo etwas Bedeutendes stattgefunden habe, so der Stadtverordnete. Recht hat er.

Quellen
Walther Rathenau/Wilhelm Schwaner, Eine Freundschaft im Widerspruch, Der Briefwechsel 1913-1922, Verlag für Berlin-Brandenburg, 2008, (Herausgeber Gregor Hufenreuter und Christoph Knüppel)

Wolfgang Brenner, Rathenau, Deutscher und Jude, München, 2005

Wilhelm Schwaner, Todtrotzend kämpfen!, Verlag Neudeutschland, Potsdam, 1916

https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Schwaner

https://archive.org/details/zurkritikderzeit00rathuoft

http://www.tagesspiegel.de/berlin/patriot-und-visionaer/6788586.html

http://www.schloss-freienwalde.de/

http://www.rbb-online.de/studiofrankfurt/beitraege/2016/12/schloss-bad-freienwalde-bleibt-geschlossen.html

http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1558410

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