Auf dem richtigen Pfad/On the right path

Am 23. August 2014 wurde in Lüneburg der sogenannte Friedenspfad offiziell eröffnet. Inzwischen gibt es sogar eine Smartphone-App dafür. Damit kann der Nutzer mobil auf einem Stadtrundgang durch Lüneburg navigieren und sich an 24 Stationen über Denkmale informieren. 19 dieser Stationen befassen sich mit Denkmalen, die an die beiden Weltkriege erinnern sollen.

Friedenspfad-62a8de63In einem Faltblatt wird das Ziel genannt: „Verschiedene Institutionen, Vereine und Einzelpersonen gedenken oft exklusiv jeweils bestimmter historischer Ereignisse und ihrer Opfer. Wir möchten diesen Zustand überwinden und zu Toleranz, gegenseitigem Verständnis und gesellschaftlicher Integration beitragen.“

bergen340_v-vierspaltigDie erste Station dieses Friedenspfads steht mitten in der Stadt auf einer kleinen Rasenfläche. Es ist eine Ansammlung von dreizehn Quadern. Eine gesichtslose Ecke mit Neubauten in Lüneburg – ein Sonnenstudio, ein Bowlingcenter, ein Matratzen-Outlet. Ein Denkmal ist ein Denkmal, ist ein Denkmal – könnte man jetzt fabulieren. Aber warum gerade da, an einer gesichtslosen Kreuzung?

Wir erinnern uns: Im Sommer 2015 fand in Lüneburg der letzte Auschwitz-Prozess statt. Der 94jährige Oskar Gröning wurde wegen Beihilfe zum Mord von der großen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Begründung: Beihilfe zum Mord in dreihunderttausend Fällen. Das Interesse der Bevölkerung am NS-Prozess war groß. Die Verhandlung wurde deshalb in ein Veranstaltungsgebäude der Stadt ausgelagert.
Aber wer weiß noch, dass in Lüneburg nicht nur der letzte KZ-Prozess stattgefunden hat, sondern auch der erste. 1945 – fünf Monate nach der Befreiung von Bergen-Belsen – begann in Lüneburg der erste Kriegsverbrecherprozess in Deutschland. Der sogenannte Belsen-Prozess erregte damals weltweit Aufsehen.

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Es gab unter den Siegermächten auch Vorstellungen, alle gefangenen Nazis einfach ohne Prozess zu erschießen. Dieser erste Prozess in Lüneburg gab aber die Richtung vor, die dann in den Nürnberger Prozessen fortgesetzt wurde. Die Richter, Ankläger und fast alle Verteidiger waren Offiziere der britischen Armee. Zwanzig SS-Männer, sechzehn KZ-Aufseherinnen und zwölf Funktionshäftlinge mussten sich ab dem 17. September 1945 vor einem britischen Militärgericht verantworten.

csm_Union_Jack_8bdd7653a9Dieser erste Kriegsverbrecher-Prozess auf deutschem Boden wurde von rund 200 Journalisten und Prozessbeobachtern verfolgt. Ob die Lüneburger Bevölkerung damals auch diesen Prozess mit Interesse verfolgt hat, ist nicht bekannt. Natürlich hatte man andere Sorgen. Aber jeder der dort in der Nähe wohnte, musste davon gewusst haben. Zu groß war über mehrere Wochen der Menschenauflauf. Jeder wusste, wer dort vor Gericht stand und warum. Weil der Andrang aus aller Welt so groß war, hatten die Engländer einen Raum gesucht, der groß genug war, um Angeklagte, Verteidiger, Richter und Prozessbeobachter aufzunehmen.

Das einzige Gebäude, das solch einen großen Saal hatte, war die größte Lüneburger Turnhalle, die MTV-Halle des Vereins MTV Treubund Lüneburg. Sie stand dort, wo sich heute ein Bowling-Center befindet. Die Turnhalle wurde 1976 abgerissen.

cropped-bergen330_v-vierspaltig.jpgHeute fließt hier der Verkehr an der Ecke Lindenstraße-Barckhausenstraße – vorbei an der historischen Altstadt – laut und ungemütlich. Für Fußgänger ist das keine Einladung zum Spazierengehen, man geht eilig weiter. Kaum einer scheint zu wissen, welchen historischen Ort er gerade hinter sich lässt. Auch das Gebäude mit der Hausnummer 30 selbst lässt nicht erahnen, welche geschichtliche Bedeutung diese Stelle für Lüneburg hat. Nur ein unscheinbares Schild weist bei genauem Hinsehen darauf, was vor 70 Jahren in Lüneburg passiert ist. Es hängt am Eingang eines Neubaus mit großen Schaufenstern, der seit einiger Zeit leer steht.

DSC00188„An dieser Stelle stand früher die MTV-Halle (erbaut 1880, abgerissen 1976). Hier fand am 17. September bis 16. November 1945 der erste große alliierte Kriegsverbrecherprozess statt. Nationalsozialistische Gewaltherrschaft und Wachmannschaften des Konzen-trationslagers Bergen-Belsen standen vor Gericht. Barbarische Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden gesühnt.“

Der Belsen-Prozess war gleichzeitig der erste Prozess zum Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und zum KZ Mittelbau-Dora. Auch viele der Überlebenden, die bei dem Prozess als Zeugen aussagten, waren sowohl in Auschwitz und Mittelbau-Dora als auch in Bergen-Belsen inhaftiert gewesen. Am 17. November 1945 verkündete das Gericht die Urteile: Elf Angeklagte wurden zum Tode, neunzehn zu Freiheitsstrafen verurteilt, vierzehn freigesprochen.

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„Die Lüneburger waren überhaupt nicht begeistert, dass das in ihrer Stadt stattfinden sollte. Es gab sehr viele Vorbehalte, man hatte Angst, dass man mit diesen Verbrechen in einen Topf geworfen wird“, weiß John Cramer, der intensiv zu dem Verfahren geforscht hat.
„Danach hat sich natürlich die Erwartung aufgebaut, dass da etwas passieren muss, dass man die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht. Den Deutschen sollten Ihre Verbrechen direkt unter die Nase gerieben werden, sodass sie anschließend geläutert, reuig und bereit wären, sich endgültig vom Nationalsozialismus abzuwenden“, so Cramer. Tatsächlich war das Interesse an der Verhandlung in den ersten Tagen groß. Die Galerie war voll, 400 Plätze hatten die Briten eingerichtet, die meisten wohl für Prozessbeobachter aus aller Welt.

bergen344_v-vierspaltigGegenüber der Stelle, wo die abgerissene MTV-Turnhalle stand, steht heute ein Denkmal mit den Steinquadern, das an die Gräueltaten der Nazis und an den ersten NS-Kriegsverbrecher-Prozess erinnern soll. Der Friedenspfad beginnt an dieser Stelle. Lüneburg hatte nicht als erste Stadt die Idee, Einheimische und Touristen auf einen Erinnerungspfad vorbei an oft namenlosen Denkmalen zu führen. Vorbild ist dafür wahrscheinlich Braunschweig, wo es schon seit 2007 einen Friedenspfad gibt.
Das Projekt „Friedenspfad“ Lüneburg ist eine Idee der Friedensstiftung Günter Manzke, die 1995 in Lüneburg gegründet wurde. Die Projektgruppe war mit der Stadt Lüneburg der Meinung, dass Denkmäler nicht aus dem öffentlichen Raum entfernt, sondern historisch eingeordnet und vor allem erklärt werden sollten. Sie sollen als Orte der Erinnerung an Krieg und Gewaltherrschaft erhalten bleiben und so einen Beitrag zur Friedenserziehung leisten. Das Projekt wurde mit dem Kulturausschuss und dem Fachbereich Kultur der Stadt entwickelt.
„Zu Lüneburgs Geschichte gehört auch die Geschichte als Gerichtsstandort“, sagte Oberbürgermeister Ulrich Mädge und schlug den Bogen vom Prozess im Jahr 1945 zum Prozess gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning 2015. „Dass in Lüneburg sowohl der erste Kriegsverbrecherprozess nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand und wahrscheinlich in diesem Sommer auch der letzte dieser Art, ist insofern vielleicht mehr als ein Zufall.“

Quellen
Ian Buruma, 45, Die Welt am Wendepunkt, Hanser Verlag, 2015
Fotos: NDR Fotografin Jessica Becker
http://www.befreiung1945.de/de/besuch-von-queen-elizabeth-ii/erster-strafprozess.html
http://www.ndr.de/kultur/geschichte/NS-Prozesse-Lueneburg-hat-seinen-Beitrag-geleistet,naziprozess106.html
http://www.vvn-bda-lg.de/brosch/bb-proz.pdf
http://www.wikiwand.com/de/Bergen-Belsen-Prozess

http://www.propstei-braunschweig.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/DerFriedenspfad.pdf

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