Wenn bei ebay Ansichtskarten aus der Zeit von 1914 bis 1918 angeboten werden, sind die meisten Postkarten „gelaufen“ – so nennen das Sammler. Mit Briefmarke, Stempel und mit lieben Grüßen sind sie von der Front in die Heimat „gelaufen“ oder umgekehrt. Ein bestimmtes Bildmotiv aber gibt es nur als „nicht gelaufen“.
Abgebildet sind fürstliche Herrschaften – der Herzog von Braunschweig z.B. mit seiner Gattin und dem ersten Sprössling. Oder der Kaiser – mit oder ohne Familie. Fürsten eben. Blaues Blut auf Fotos in Sepia. Das kann doch kein Zufall sein, dass diese Fürsten nicht mit der Post an die Front geschickt wurden. Schaut man sich die Rückseite genauer an, findet man des Rätsels Lösung.
Es handelt sich fast ausschließlich um sogenannte Wohlfahrtskarten, die für einen guten Zweck angeboten wurden. Vorne die Fürsten, die zur Spende einladen sollen. Und auf der Rückseite der Hinweis, wohin das Geld fließt.
Da gab es Kriegswohlfahrtskarten des Reichsverbandes zur Unterstützung deutscher Veteranen e. V. oder Wohlfahrts-Postkarten zum Besten der Viktoria-Luise-Stiftung oder zum Besten der Braunschweiger Diakonissenhäuser.
Tausende von Einrichtungen schossen wie Pilze aus der Erde und fielen über die Bürger her und bettelten um Spenden. Und da die Soldaten an der Front immer weniger wurden, brauchte man ja Nachwuchs. Und so entstand z.B. der DEUTSCHE VEREIN FÜR SÄUGLINGSPFLEGE 1916, e.V. Sein Motto: Wir beugen uns vor Gott, weil Er so groß ist. Und vor dem Kinde, weil es so klein ist.
Der Kaiser brauchte Soldaten, aber auch Geld, um den Krieg zu gewinnen. Wer mochte da Nein sagen, wenn man auf der Straße angesprochen wurde! Man wollte und sollte seinen Teil dazu beitragen, dass es dem Kaiser gut geht, und kaufte diese Karten anstandslos. Zu Hause überlegte man sich, was man mit den schönen Karten machen könnte. An die Front schicken – das ging irgendwie nicht. Also ab in den Karton oder ins Album.
Die Spendensammelei war aber auch bitter nötig; denn die öffentliche Wohlfahrtspflege war schon kurz nach Kriegsbeginn überlastet und zusammengebrochen. Besonders hart traf es kinderreiche Familien. Aber auch die Soldaten an der Front und die heimkehrenden verletzten Frontkämpfer brauchten mehr (finanzielle?) Zuwendung als die öffentlichen Mittel es zuließen.
Zahlreiche Vereine und Organisationen (Rotes Kreuz, Vaterländischer Frauenverein, Katholischer Frauenbund u.a.) versorgten z.B. durchziehende Soldaten, richteten Sammelstellen für Kleidung und Lebensmitteln ein oder sammelten auf der Straße oder an der Haustür Spenden. Die Postkarte war gewissermaßen ein kleines Dankeschön, aber auch Erkennungsmerkmal, dass man gespendet hatte.
Eine ganz besondere Postkarte wurde vom Badischen Landesverein vom Roten Kreuz herausgegeben. Auf der Rückseite steht der Hinweis: Badischer Opfertag – zum Besten der Truppen im Feld, 20. September 1915.
Opfertag – so fragt man sich – was ist das denn?
Dieser sogenannte Opfertag fand am 20. September 1915 in vielen badischen Städten statt, in Heidelberg bereits einen Tag früher. Für diesen Sonntag wurde zu einer Volksversammlung auf dem Marktplatz aufgerufen. Um 11 Uhr sollte es losgehen. Die Himmel rühmen, Wir treten zum Beten und Deutschland, Deutschland über alles – das war die Reihenfolge der musikalischen Töne, um die Bürger spendenbereit zu machen. Zur Musike gab es das Motto: Jeder bringe sein Opfer freudigen Herzens.
In anderen Städten fand dieser Opfertag zeitnah mit der herbstlichen Kirmes statt. In der Stadt Hilden bei Düsseldorf war das Allerheiligen, der 2. November 1915. Das Rheinische Volksblatt schreibt darüber in einem Vorbericht:
Am 1. November, am Allerheiligentage findet ein allgemeiner Opfertag für die im Felde stehender Hildener statt. Es handelt sich darum, die notwendigen Mittel zu sammeln, um unseren braven Truppen zum zweiten Kriegsweihnachten eine besondere Freude zu bereiten. Der Ruf, sich an der Sammlung durch Geldbeträge zu beteiligen, ergeht an die gesamte Hildener Bürgerschaft. Kein Opfer darf uns zu groß sein angesichts der Opfer, welche unsere Söhne und Väter draußen im Felde für unsere Heimat, für jeden einzelnen und dessen Existenz gebracht haben und auch fernerhin noch bringen. Der Opfertag muß abermals ein glänzendes Ergebnis zeitigen, er muß ein Ergebnis bringen, das es der hiesigen Ortsgruppe des Vaterländischen Frauenvereins ermöglicht, den gesamten im Felde stehenden Hildener Bürgern ein reichliches Weihnachtspaket zukommen zu lassen.
Am Tag danach schrieb das Rheinisches Volksblatt:
Der gestrige Tag, Allerheiligen, war unseren im Felde stehende Hildener Bürgern zugedacht. Um ihretwillen fand ein allgemeiner Opfertag statt. Damen und Mädchen gingen von Haus zu Haus, um eine Geldsammlung zu veranstalten, deren Erträgnis unseren feldgrauen Bürgern in Form einer schönen Weihnachtsgabe zukommen soll. Das Ergebnis scheint auch diesmal bei dem Opfersinn unserer Bürger kein kleines zu sein. Wir werden darüber noch berichten.
Warum hat man diesen Tag Opfertag genannt, an dem den Bürgern das Geld – zugegeben für eine gute Sache – aus der Tasche gezogen wurde? Die Bergische Arbeiterstimme Solingen versucht das zu erklären und gerät dabei ins Stolpern. Wieso ist der Opfertag eigentlich gar kein Opfertag, sondern ein Gebettag? Spenden durch Beten?
Der (Opfertag) ist ein schönes Vorhaben. Allgemein betrachtet, ist diese Bezeichnung nicht ganz richtig. Für den weitaus größten Teil des deutschen Volkes war jeder einzelne der dreihundertfünfundsechzig Tage, die morgen der Krieg dauert, ein Opfertag.
Es erscheint deshalb nicht gerechtfertigt, einen Spendertag als Opfertag zu bezeichnen und damit eine Spende aus Börse oder Vorratskammer auch nur sprachlich den Opfern gleichzustellen, die unsere Krieger und ihre Familien, und die unter der Kriegsnot die Armen des Volkes gebracht haben. Also: Der morgige Tag ist für die Spender ein Gebettag, aber eigentlich kein Opfertag! (31. Juli 1915)
Jetzt wissen wir, was ein Opfertag ist. Oder auch nicht.
Sind wir heute bereit zu opfern? Können wir aus der Zeit vor 100 Jahren lernen, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen sollten? Einen Opfertag gibt es so heute nicht mehr. Der Begriff wird zwar gelegentlich noch von der Kirche benutzt, aber eigentlich ist er verschwunden. Er ist wohl auch nicht mehr nötig; denn die freiwillige Hilfsbereitschaft der meisten Bürger ist gegenüber den Flüchtlingen enorm groß. Im Vergleich zu den Menschen von 1915, die ja alle von der Not betroffen waren, geht es uns aber vergleichsweise gut. Kann man unsere Unterstützung schon als OPFERN bezeichnen? Wir müssen uns klarmachen, dass das wahre Teilen noch gar nicht angefangen hat.
Quellen
http://www.muenster.de/stadt/kriegschronik1914/1914_versorgung_wohlfahrt.html
https://archivewk1.hypotheses.org/tag/opfertag