Jetzt sind unsere Buchläden und Supermärkte voll mit den schönsten und größten Kalendern für das kommende Jahr 2016. Küchen-, Katzen- und Literaturkalender versprechen einem mit bunten Bildern zum Träumen ein schönes neues Jahr. An Weihnachten liegen sie dann doppelt oder dreifach unter dem Tannenbaum – gekauft oder auch liebevoll selbst hergestellt. Kalender gehen immer.
Das war auch schon vor 100 Jahren so. Die Träume und Wünsche der Menschen konnte man vor allem in sogenannten Buchkalendern finden, die es in ähnlicher Form heute auch noch gibt. Da ist z.B. Kürschners Jahrbuch aus dem Jahr 1914. Weise Worte oder Zitate, Denksport oder Allgemeinwissen, Kochrezepte, Handwerkertipps oder Statistiken werden kunterbunt gemischt mit schönen Bildern und noch schöneren Gedichten.
Ein besonders interessantes Exemplar ist das Illustrierte Jahrbuch, das vom Berliner Tageblatt gedruckt wurde. Diese Zeitung war während der letzten Jahre des Kaiserreiches bis in die Weimarer Republik die einflussreichste Zeitung in Berlin. Es lieferte anspruchsvollen Journalismus und wandte sich in erster Linie an ein gebildetes bürgerliches Publikum. Allerdings ist in den Textbeiträgen und in der Aufmachung dieses kleinen Jahrbuchs im DIN A5 Format nichts von anspruchsvollem Journalismus zu spüren. Hier stand eher das kleinbürgerliche Leben im Vordergrund.
Auf den ersten Seiten werben Firmen in ganzseitigen Anzeigen für ihre Produkte. Man findet die Hamburg-Amerika Linie und Asbach Uralt, den „Cognac des deutschen Hauses“, aber auch die Niedereinsiedler Sparkasse, die dem Kunden 4 ¼ % Zinsen bei halbjährlicher Zinsen-Zuschreibung verspricht. Rosa Schaffer aus Wien verspricht Schönheit für die Frau durch Haarstärker, Poudre ravissante und Hautduftseife.
Auf der nächsten Seite dann ein Foto des Kaisers. Er betreibt damit Eigenwerbung in seinem Ausgehanzug – der Paradeuniform. Am 1. August hatte er sich an das deutsche Volk gewandt und behauptet, dass er keine Parteien mehr kennt. Jetzt soll dieses Machtwort des Kaisers den Leser durch das Jahr 1915 begleiten.
Es folgt das Inhaltsverzeichnis, in dem es thematisch drunter und drüber geht: Mondphasen im Jahre 1915, Portosätze, Allerlei Basteleien, Moderne Krüppelfürsorge, Gartenstadt-Architekturen, der Arzt im Hause und Naturschutz. Man wird aufgeklärt, wie man zerbrochene Gipsfiguren repariert oder Lebensmittel nach modernen Grundsätzen konserviert. Auch das Humoristische darf nicht fehlen.
Und dann gibt es noch ein schnelles Kriegsgedicht von Fritz Engel, einem Redakteur des Berliner Tageblatts.
Fritz, der Engel weiß noch gar nicht, wohin die Reise für Deutschland in den nächsten dreißig Jahren gehen wird, aber er weiß zu genau: Krieg muss sein, damit man danach einen besseren Frieden hat.
Zunächst aber sieht es gar nicht nach Frieden aus. Die Monatsbilder passen sich allmählich dem Kriegsgeschehen an. Gab es 1911, 1912, 1913 noch niedliche Tierbilder, heimelige Szenen aus vergangenen Zeiten, geht man allmählich dazu über, den Krieg zu zeigen. Monat für Monat schaut man jetzt zu, wie es bombt und schießt und siegt.
1918 werden auf den Monatsbildern schließlich moderne Waffen und außergewöhnliche Kampfszenen präsentiert: Patrouille der Schneeschuhtruppen, U-Boot bei der Arbeit, In Erwartung eines Gasangriffs, Bei den Minenwerfern, Wasserflugzeuge, Scheinwerfer-Abteilung, Ballon-Abwehrgeschütz, Zeppeline im Kampf, Handgranatenkampf, Kampfflieger bei der Arbeit, Motorfahrradpatrouille und Maschinengewehrabteilung in Schneeausrüstung. Statt heiler Welt mit Osterhase, Vogelkonzert und Ausflug ins Grüne wird die nüchterne Zerstörung ohne Sentiment abgebildet.
Nüchtern sind auch die handschriftlichen Einträge, die der Besitzer eines Jahrbuchs von 1918 für den November mit Bleistift eingetragen hat. Nacheinander gelesen könnten diese sparsamen Notizen auch für ein etwas misslungenes Dada-Gedicht durchgehen.
Am 15. April beginnt die Sommerzeit.
Der 17. September ist der Geburtstag unserer hessischen Großherzogin.
Am 4. kam’s Dekret zur Kriegsteuerungsbeihilfe.
Am 16. September: Ende der Sommerzeit.
Im November: fleischlose Wochen.
Am 16. Quittungsformular erhalten über einmalige Kriegsteuerungsbeihilfe für 1918 abschläglich 225 Mark.
Im Dezember: fleischlose Wochen.
Wir können uns freuen, dass wir heute in Deutschland vom Krieg verschont sind. Ob wir in besseren und gerechteren Zeiten leben, sei dahingestellt. Auf jeden Fall gibt es heute außerhalb der Buchläden bessere Kalender als vor 100 Jahren.
Zwei Beispiele:
Der Offfer Kunstkalender 2016 ist unter dem Motto FLAGGE ZEIGEN. HILFE LEISTEN. TAG FÜR TAG. mit Flüchtlingen entstanden. Sechs Flüchtlingskünstler und sechs deutsche Künstler haben die Monatsblätter zum Thema Flucht gestaltet. In zwölf Motiven wird eindrucksvoll vermittelt, was es heißt auf der Flucht zu sein und welche Folgen dies mit sich zieht.
Oder der Interkulturelle Kalender 2016, der schon seit mehreren Jahren vom Berliner Beauftragten für Integration und Migration herausgegeben wird. interkult_kal_2016_web
interkult_kal_2016_leseversion_bf Er enthält die wichtigsten Fest- und Feiertage aus anderen Kulturen und Religionen und ist damit bereits ein kleiner Beitrag zur interkulturellen Verständigung. So sind jüdische, islamische, buddhistische und hinduistische Feiertage sowie die der Baha’i eingetragen. Der kann Kalender von der Homepage des heruntergeladen werden:
http://www.berlin.de/lb/intmig/publikationen/kalender/
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